Frankfurter Rundschau, 28.7.2000

Undurchsichtiger Planungsstand

Bei Rot-Grün wächst der Widerstand gegen deutsche Kreditbürgschaften für Dammprojekte in Indien und der Türkei

Von Richard Meng (Berlin)

Deutsche Kreditbürgschaften für zwei große Staudammprojekte in Indien und der Türkei werden immer unwahrscheinlicher. Mit einer definitiven Absage tut die rot-grüne Bundesregierung sich bisher schwer. Entscheidungsreif sind beide Themen nach den Sommerferien - aber vielleicht wird auch nur weiter verzögert.

Mit drei umstrittenen Großprojekten in Asien ist Rot-Grün seit der Regierungsübernahme 1998 konfrontiert: dem "Drei-Schluchten-Staudamm" in China, dem Maheshwar-Damm in Zentralindien und dem Ilisu-Staudamm im Osten der Türkei. Um das Drei-Schluchten-Projekt, für das schon seit 1997 Investitionen deutscher Firmen vom Staat mit Hermes-Krediten abgesichert worden sind, ist es ruhig geworden. Hermes-Deckungen in einem Gesamtvolumen von 250 Millionen US-Dollar sind bewilligt. Weitere Anträge lägen zur Zeit nicht vor, heißt es. Aber Rot-Grün hat dieses Projekt auch innerlich abgehakt, weil es sowieso nicht mehr zu stoppen sei.

Umso spannender wird die Abstimmung über die Projekte Maheshwar und Ilisu, die ebenfalls umweltpolitisch umstritten sind und die Umsiedlung der Bevölkerung ganzer Landstriche erfordern würden. In beiden Fällen überwiegt in Berlin inzwischen die Skepsis, während die Industrie weiter auf Bürgschaften hofft. Und weil am indischen Projekt die Großfirma Siemens beteiligt ist, die 1997 von der Kohl-Regierung schon eine Grundsatzzusage hatte, ist Rot-Grün hier jetzt besonders vorsichtig, öffentlich eine Kurskorrektur zu verkünden.

Kreditentscheidungen zu Maheshwar sind noch nicht gefallen. Das Entwicklungshilfeministerium hat aber ein neues Gutachten in Auftrag gegeben, das zu negativen Ergebnissen kommt. Die zehnseitige Expertise, die Mitte Juni fertig und von Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) gleich an Siemens-Chef Heinrich von Pierer weitergereicht wurde, beurteilt den Planungsstand im indischen Bundesstaat Madhya Pradesh als höchst undurchsichtig. Sie attestiert massive Ungewissheit, was die Zahl der von Umsiedlungen betroffenen Menschen betrifft - und erst recht bei der Frage, wo ihnen Ersatzland angeboten werden soll.

Im Ministerium teilt man die Einschätzungen des Gutachtens. Wieczorek-Zeul verweist ohnehin darauf, dass große Staudämme in den betroffenen Ländern schon häufig innere Konflikte verschärft und nicht gelöst haben.

Umweltorganisationen schätzen, dass 40 000 Kleinbauern umgesiedelt werden müssen; Baufirmen geben niedrigere Zahlen an. Das Gutachten bestätige "das völlige Versagen der Umsiedlungsmaßnahmen", urteilt die Protestorganisation "urgewald", die sich gegen das Projekt engagiert. Siemens hat für den indischen Staudamm eine Hermesbürgschaft für Generatoren im Wert von 170 Millionen Mark beantragt, so dass eine Grundsatzentscheidung im sogenannten "Interministeriellen Ausschuss (IMA) unter Federführung des Wirtschaftsministerium, der für die Hermes-Vergabe zuständig ist, eigentlich nötig wäre.

Im IMA ist Einstimmigkeit nötig, anders als im Bundessicherheitsrat, der für Militärexporte zuständig ist. Wenn Kanzler oder Parlament dieses alte Prinzip nicht aushebeln, reichen schon die offenen Bedenken des Entwicklungsressorts (neben den eher diplomatisch-zurückhaltenden des Außenministeriums), um eine Bewilligung zu verhindern. Als cleverster Weg jedoch, laute Siemens-Proteste zu vermeiden, gilt die Verschiebung eines Hermes-Votums auf unbestimmte Zeit.

Politisch noch komplizierter ist das Ilisu-Projekt in den türkischen Kurdengebieten, mit dem der Fluss Tigris nahe der Grenze zu Syrien und Irak gestaut werden soll. Hier sind auch die Außenpolitiker alarmiert, weil die Türkei den Nachbarländern in der Stauphase für die vorgesehenen zehn Milliarden Kubikmeter Wasser die dringend benötigten "Durchflussmenge nicht völkerrechtlich verbindlich garantiert. Solange nicht einmal dieser Streit geklärt ist, komme eine Zustimmung zu Hermes-Bürgschaften nicht in Frage, meint man im Außenressort.

Dennoch liegt ein Hermes-Antrag über rund 150 Millionen Mark von der Ravensburger Baufirma Sulzer Hydro vor, die sich neben Firmen aus acht weiteren Ländern an dem Projekt beteiligen will. Im Spätsommer wird mit einem Schweizer Gutachten über die Förderwürdigkeit gerechnet - Schweizer Firmen sollen mit 16 Prozent den größten Auslandsanteil am Projekt übernehmen - , dann könnte entschieden werden.

Auch im Bundestag tat Rot-Grün sich bisher schwer. Ein geplanter Antrag kam bislang nach Differenzen zwischen Umwelt- und Wirtschaftspolitikern noch nicht bis ins Parlament. Ein PDS-Antrag gegen den Staudamm wurde kurz vor der Sommerpause abgelehnt. Im Menschenrechtsausschuss stimmte aber die grüne Ausschussvorsitzende Claudia Roth für den PDS-Antrag. "Ich finde ihn richtig", sagte sie. Drei Sozialdemokraten enthielten sich. Roth sorgt sich nun, dass die Regierung doch Fakten schaffen könnte - auch wenn dort abgewunken wird: Die Tendenz bleibe "ablehnend wegen der ungelösten Umsiedlungs- und Wasserfragen".

Ein Grund für den Verdacht, in diesem Fall würde die Regierungsspitze gerne nachgeben, ist des Kanzlers alte Furcht vor dem Vorwurf der Wirtschaftsfeindlichkeit. Dass man nicht überall Nein sagen könne, wird von Befürwortern eines Hermes-Kredits nun auch außenpolitisch begründet: Dem EU-Kandidaten Türkei könne man neben den Leopard-Panzern und einen ebenfalls bislang gewünschten Atommeiler (auf den Ankara nun verzichtet) nicht auch noch den Staudamm ablehnen. Das Entwicklungsressort kontert, schließlich sei gerade erst ein Windenergieprojekt bewilligt worden.

Es handele sich also um "reine Sachfragen". Und wieder wäre im IMA, wenn man denn wirklich entscheiden wollte, Einstimmigkeit gefordert.