Süddeutsche Zeitung, 27.7.2000

Der General beliebt zu scherzen

An eine Reform des türkischen Sicherheitsrats glaubt keiner im Ernst

Bislang hätte wohl niemand den türkischen Generalstabschef Hüseyin Kivrikoglu verdächtigt, über einen ausgeprägten Sinn für Humor zu verfügen. Doch mittlerweile hat der als nüchtern und trocken geltende Vier-Sterne-General bewiesen, dass ihm zumindest die Kunst der Ironie geläufig ist. Denn seine jüngsten Bemerkungen zu einer Reform des allmächtigen Nationalen Sicherheitsrates konnten kaum ernst gemeint sein.

Der höchste Offizier des Landes hatte zu Vorschlägen Stellung genommen, im Sicherheitsrat, dem höchsten Machtgremium der Türkei, künftig das zivile Element zu stärken. Mit der herablassenden Nonchalance eines Großwesirs, der Wichtigeres zu tun hat, hatte er zu verstehen gegeben, dass er "keine Einwände" habe. Und mit beißendem Spott fügte Kivrikoglu hinzu: "Von mir aus kann der Rat hundert zivile Mitglieder haben." Obwohl er damit unzweideutig zu verstehen gegeben hatte, was er von den Vorschlägen im allgemeinen und von ZivilIsten im besonderen hielt, heimste der Generalstabschef überschwängliches Lob der Politiker ein. "Ich teile die Einschätzung des Kommandanten", pflichtete Staatsminister Mustafa Yilmaz eilfertig bei und fügte - ohne jede Ironie - hinzu: "Ich unterstütze auch jene Worte des Generalstabschefs, die er noch nicht gesprochen hat." Yilmaz' Ministerialkollege Mehmet Kececiler sprach - nüchterner - von einer "richtigen Feststellung".

Geheimnisvoller äußerte sich Regierungschef Bülent Ecevit. "Der Generalstabschef hat eine Wahrheit zum Ausdruck gebracht", meinte er. "Es ist eine positive Tradition, dass die Beschlüsse des Sicherheitsrats immer einstimmig gefällt werden." Mit seiner vorsichtigen Einschätzung lag der Premierminister sicherlich richtig; denn nichts dürfte Kivrikoglu ferner liegen als eine Reform des wichtigsten Machtorgans, über das die Generäle die Richtlinien der Politik bestimmen. Nach Artikel 118 der Verfassung sitzen im Sicherheitsrat der Premierminister sowie die Minister für Äußeres, Inneres und Verteidigung auf der einen und der Generalstabschef mit den Kommandierenden von Heer, Luftwaffe, Marine und Gendarmerie auf der anderen Seite gegenüber. Geleitet wird das Gremium vom Staatspräsidenten, so dass zumindest nominell Zivilisten und Militärs gleich stark vertreten sind.

Soweit die Theorie. In der Praxis wird die Tagesordnung der monatlichen Zusammenkünfte des Sicherheitsrates vom Generalsekretär des Gremiums - einem General - erstellt und den zivilen Teilnehmern kommentarlos vorgelegt. Wie mittlerweile bekannt wurde, hat dieser General das Recht, ohne Wissen des Premierministers, doch gleichwohl in seinem Namen weitgehend frei schalten und walten zu können. Theoretisch spricht der Sicherheitsrat nur Empfehlungen zu Themen aus, welche die nationale Sicherheit berühren. Die Regierung ist lediglich verpflichtet, diese Wünsche "vorrangig zu diskutieren". In Wirklichkeit jedoch ist der Wunsch der Generalität dem Kabinett Befehl. In seiner Struktur widerspricht der Sicherheitsrat den "Kopenhagener Kriterien" der EU, also dem Katalog demokratischer Mindestanforderungen an künftige EU-Mitglieder. Eine Reform wird dennoch schwierig. Denn nur der Sicherheitsrat selbst hat die Macht, die Macht des Sicherheitsrates zu begrenzen.

Wolfgang Koydl