Neue Zürcher Zeitung, 26.07.2000

Ein arabischer Trend zur Erbrepublik?

Patrimoniales Denken überlagert demokratische Tendenzen

Die reibungslose Vererbung der syrischen Präsidentschaft hat dynastische Bestrebungen in verschiedenen arabischen Republiken deutlich werden lassen. Die Amtsübergabe an den Sohn, durch ein Plebiszit bestätigt, scheint eine logische Folge patrimonialer Gesellschafts- und Staatsformen im Nahen Osten zu sein.

vk. Limassol, Ende Juli

Der junge König Abdallah von Jordanien und der syrische Präsidentensohn Bachar al-Asad sind einander, so heisst es, seit mehr als einem Jahr in Freundschaft zugetan, und sie empfanden sich als Schicksalsgenossen. Wie es dem Tausendsassa und Berufsmilitär Abdallah Anfang 1999 erging, geschah es mit dem Augenarzt Bachar vor einigen Wochen: Der Vater ernannte den Sohn entgegen dessen eigenen Vorstellungen zum Nachfolger, das Volk huldigte dem neuen Staatschef, und von dem Tag an bemühte sich dieser, das Schiff recht zu lenken. Dass Jordanien eine absolute Monarchie ist, Syrien aber eine Republik, das wirkt sich nur auf die formelle Bezeichnung des Plebiszits aus. Seit Februar 1999 ist Bachar bereits der vierte Fall, da in der arabischen Welt ein Sohn die Macht des Vaters übernahm; Thronfolgen spielten sich auch in Bahrain und in Marokko ab.

Verratene Ideale

Sofort nach dem Tod des alten Asad wiesen die Intellektuellen noch in anderen arabischen Republiken auf die politischen Ambitionen der Präsidentensöhne hin. In Ägypten bereitet Mubaraks Sprössling, der Geschäftsmann Gamal, seine Kampagne für die Parlamentswahlen vor; eine Zeitschrift erkor ihn in Ermangelung eines besseren neulich zum Heiratskandidaten des Jahres. In Bagdad hat Saddam Husseins Sohn Oday im März in der Volkskammerwahl dem Vater mit einem Wahlresultat nahe den hundert Prozent Konkurrenz gemacht. In Sanaa hat Ali Abdallah Salehs ältester Sohn eine Eliteeinheit der Panzertruppen gebildet, welche mit ihrem Hauptquartier die wichtigste Ausfallstrasse der Hauptstadt beherrscht. Des libyschen Revolutionsführers Sohn Seifulislam al-Ghadhafi soll allmählich in die inneren Kreise der Macht eingeführt werden; er diente mehrfach als Stellvertreter des Führers bei Anlässen im Ausland. Und sogar in Libanon tritt Emile Lahoud junior, dessen wichtigste Qualifikation die Abstammung von Präsident Lahoud ist, als Parlamentskandidat auf - zur Betonung der Absurdität noch als Konkurrent seines Vetters Nessib Lahoud, der unter Christen als äusserst fähiger und rechtschaffener Abgeordneter gilt.

Präsident Mubarak verwahrte sich vor Journalisten in aller Form gegen den Verdacht, er nutze seine Machtmittel oder sein Ansehen, um Gamal den Weg zur Spitze zu ebnen. Dabei erhält er selbst durch die bereits seit 19 Jahren währende Weigerung, einen Vizepräsidenten zu ernennen, die Ungewissheit um seine Nachfolge aufrecht. Laut Mubarak erfreut sich das Nilland viel zu tief verankerter Institutionen und demokratischer Traditionen, als dass eine dynastische Regelung möglich wäre. Es war aber letztlich der Präsident, der bei den letzten Wahlen massive Fälschungen zu verantworten hatte. Auch Jemens Präsident Saleh wies solche Gedanken von sich. Er beteuerte, sein Sohn sei genau gleich gestellt wie jeder andere junge Mann, auch wenn er eine politische Laufbahn einschlagen wolle.

Nicht von ungefähr drängten sich König Abdallah und der saudische Kronprinz und Regent Abdallah unter die ersten Gratulanten beim jungen syrischen Präsidenten Bachar. Der Bogen ist geschlagen. Die arabischen Monarchen, denen die panarabisch gesinnte Presse der Levanteländer bis in die frühen achtziger Jahre den baldigen Untergang prophezeit hatte, fühlen sich in ihrem Traditionalismus bestätigt. Heute schlagen ausgerechnet jene arabischen Führer, die aus postkolonialen Militärputschen hervorgegangen sind, die eigenen Ideale von arabischer Vereinigung und Herrschaft der Massen in den Wind. Sowohl der irakische als auch der syrische Baath haben seinerzeit die Macht unter dem Leitsatz: «Einheit, Freiheit, Sozialismus» übernommen. Die syrische Verfassung schloss sogar bis zum Tage von Hafez al-Asads Tod einen Staatschef wie Bachar, jünger als 40 Jahre, ausdrücklich aus. Eine dynastische Machtvererbung war nicht vorgesehen. Und dennoch greifen diese ehemaligen uniformierten Sozialrevolutionäre für die Erhaltung der Macht auf die ältesten und konservativsten Bande der Menschheit zurück, die Blutsverwandtschaft. Ihre altbewährten Offizierskollegen haben zwar Anrecht auf hohe Posten, aber nicht den allerhöchsten.

Ausgeweitete Familienunternehmen

Die arabischen Blätter, und zwar auch die relativ freien libanesischen, behandeln diesen dynastischen Hang eher wie ein Kuriosum als eine Ausartung. Selbst gewöhnliche Jemeniten nehmen am vertraulichen Gespräch an einer Wahlkampagne des Präsidentensohnes keinen Anstoss. Es handle sich hier nicht um Bevorteilung, vielmehr um die vernünftige Nutzung seiner Vorzüge an Ausbildung und Amtserfahrung; schliesslich hätten auch in Europa nicht alle Politiker die gleiche Ausgangslage. Eine Verpflichtung zum Zurückstehen wegen Befangenheit ist in diesem Teil der Welt nicht geläufig, ganz im Gegenteil. Das äussert sich vielerorts in den Geschäftsimperien der Familien von Staatschefs und Regierungsmitgliedern.

Vieles klärt sich, wenn man den Staat und seine Verwaltung nicht als neutrale Institution betrachtet, welche fähige Bürger als Staatsdiener aufnimmt und ihnen eine entsprechende staatsbürgerliche Haltung abverlangt. In einer patrimonialen Gesellschaft ist der Staat ein grosses Dienstleistungsunternehmen unter der Führung jenes Klans, der darin die Schlüsselpositionen besetzt. Hier treffen Selbstverständnis, Zielsetzung und Personalpolitik von Monarchien und Republiken ohne Widerspruch zusammen. Erfahrung und durch Blut gesicherte Loyalität wiegen mindestens so schwer wie abstrakte Verfassungstreue und Bildungszeugnisse. Daraus ergibt sich, dass demokratische Mitsprache in beiden Systemen eher konsultative Funktionen hat und auf keinen Fall die freie Konkurrenz um die Bestellung von Staats- und Regierungsspitze erlaubt.