Bremer Nachrichten, 26.07.2000

Risse in der Türken-Front

Von unserer Korrespondentin Susanne Güsten

Nordzypern: Konflikte zwischen Einheimischen und Zugewanderten

Istanbul. Rauf Denktasch ist schwer getroffen. Für den 76-jährigen, der seit Jahrzehnten an der Spitze der türkischen Zyprer steht, ist eine Welt zusammengebrochen. Ausgerechnet zwei Tage vor dem Jahrestag der Landung türkischer Truppen auf der Insel am 20. Juli 1974 erhielt Denktasch von der eigenen Bevöllkerung einen schmerzhaften Denkzettel.

Rund 10000 Menschen - eine für Nordzypern mit seinen 200000 Einwohnern unerhörte Zahl - demonstrierten gegen Denktasch und gegen die Einmischung Ankaras in die Angelegenheiten der türkischen Zyprer. Die immer wieder beschworene Einheit zwischen türkischen Zyprern und türkischem Mutterland ist plötzlich als Schimäre entlarvt - mit unabsehbaren Folgen für die Zukunft der geteilten Insel.

Einerseits sind viele türkische Zyprer der Türkei bis heute dankbar, dass sie vor 26 Jahren Truppen auf die Insel schickte, um einen Anschluss ganz Zyperns an Griechenland zu verhindern. Andererseits aber wächst der Unmut der Einheimischen über die Zuwanderer vom türkischen Festland und über die Isolation ihres Inselteils: Die von Denktasch 1983 ausgerufene "Türkische Republik Nordzypern (TRNC)" wird nur von Ankara anerkannt und international boykottiert.

Diese Unzufriedenheit brach sich jetzt Bahn. Anlass war ein Streit darüber, ob die Polizei unter dem Kommando des türkischen Truppenkommandeurs auf der Insel bleiben oder der TRNC-Regierung unterstellt werden solle. Als der türkische Kommandeur Ali Nihat Özeyranli solche Forderungen zurückwies und deren Vertreter als "Verräter" beschimpfte, goss er Öl ins Feuer. Die kleine Zeitung "Avrupa" (Europa) mauserte sich zum Hauptgegner des türkischen Generals; prompt wurden Chefredakteur Sener Levent und drei Journalisten unter Spionageverdacht festgenommen, mussten aber wieder auf freien Fuß gesetzt werden.

Für Ärger sorgt auch die Entscheidung der türkischen Regierung, den wirtschaftlich völlig von der Türkei abhängigen Inseltürken einen strikten Sparkurs zu verordnen. Die Demonstration der 10000 Menschen im türkischen Teil der geteilten Insel-Hauptstadt Nikosia geriet deshalb zur Protestkundgebung gegen Denktasch und die Festland-Türken. "Avrupa"-Chefredakteur Levent brachte es auf den Punkt: Die Zypern-Türken würden auf der eigenen Insel behandelt wie Bürger zweiter Klasse. "Das muss aufhören. Das Land gehört schließlich uns."

Am Montag protestierten wieder Tausende in Nikosia gegen einen Bankenskandal, lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei und besetzten vorübergehend sogar das Parlamentsgebäude. "Wir sind das Volk - fürchtet uns", lautete ihr Schlachtruf. Kein Wunder, dass Denktasch nur die Innenpolitik im Kopf hatte, als er am Montag in Genf zur Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen unter dem Dach der UNO erschien. Derzeit ist nicht abzusehen, ob ihn die Lage in Nordzypern am Genfer Verhandlungstisch kompromissbereiter machen wird oder ob er jetzt ganz auf stur schaltet.

Wie immer Denktasch sich nun verhält: Die Bevölkerung in der TRNC fordert eine Verständigung mit den Griechen, um aus der Isolation herauszukommen und möglichst an den Vorteilen einer EU-Mitgliedschaft Zyperns teilhaben zu können. Nach jahrelangem Stillstand in der Zypern-Frage haben die Menschen im türkischen Teil der Mittelmeerinsel wieder Bewegung in die Fronten gebracht. Denktasch hat guten Grund, beunruhigt zu sein.