junge Welt 25.07.2000

Stille in Camp David

Interessenausgleich zwischen Israel und Palästinensern nicht in Sicht

US-Präsident William Clinton ist am Sonntag abend (Ortszeit) wieder zum Nahost-Gipfel in den Bundesstaat Maryland nach Camp David zurückgekehrt. Dort harren seit mittlerweile 14 Tagen Palästinenser-Präsident Yassir Arafat und Israels Premier Ehud Barak aus. Beide Verhandlungsteams erörtern zum ersten Mal seit Beginn des Friedensprozesses Anfang der 90er Jahre die Kernprobleme des Nahost-Konflikts. Doch weder ist von einem »Durchbruch« etwas zu spüren, auf den der US-Präsident in den letzten Monaten der Amtszeit sein Vermächtnis gründen will, noch ist man einer Kompromißlösung, geschweige denn dem Beginn einer Aussöhnung nahe. Denn statt einen rationalen Interessenausgleich herbeizuführenn streben die USA die Zementierung des herrschenden Kräfteverhältnisses an.

So berichtete etwa die israelische Tageszeitung Haaretz am Montag, die USA würden »weiter auf Arafat Druck ausüben«, den traditionell schwächeren Part. Gleichzeitig würden USA und Israel über den Umfang eines »Verteidigungspakets und der strategischen Aufwertung« Israels diskutieren, falls ein Abkommen zustandekommt. Als fast sicher galt in Beobachterkreisen allerdings, daß Arafat dem Druck nicht nachgeben wird, weil er das aus politischen Gründen nicht kann. Ein israelisches Delegationsmitglied kündigte an, daß es spätestens bis Mittwoch zu einer »abschließenden oder nahezu abschließenden Klärung« kommen werde.

Seit mehreren Tagen geistert ein »US-Überbrückungsplan« durch die Gazetten. Danach soll den Palästinensern Souveränität über Randgebiete des 1967 von Israel besetzten Ost-Jerusalem zugestanden werden. Zusammen mit einigen palästinensischen Dörfern soll das Gebiet zur palästinensischen Hauptstadt »Al Quds« erklärt werden. Israel dagegen soll Teile der Altstadt sowie die Klagemauer - beide ebenfalls im Ostteil der Stadt - behalten. Diskussionen über die entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen soll CIA-Chef George Tenet beigewohnt haben.

Demgegenüber fordert Arafat volle Souveränität über Ost- Jerusalem, und nicht nur über ein paar Dörfer. Arafat steht unter dem Druck der muslimischen Welt, vor allem des saudischen Königshauses, das sich als Wächter der »heiligen islamischen Stätten« versteht, in diesem Fall des Ost- Jerusalemer Tempelberges mit seiner Al-Aksa-Moschee. So jedenfalls wurde der Besuch des ägyptischen Präsidenten Mubarak interpretiert, der am Montag den saudischen Kronprinzen Abdallah zu arabischen Konsultationen über den Nahost-Gipfel besuchte. Arafat muß eigenen Worten zufolge damit rechnen, ermordet zu werden, falls er auf das Recht auf Souveränität über das drittgrößte muslimische Heiligtum verzichtet.

Ähnliches gilt auf der Gegenseite für Barak, der den Schein wahren muß, daß Jerusalem Israels »ewige und ungeteilte Hauptstadt« bleibt. Gemeint ist damit vor allem das besetzte Ost-Jerusalem mit der Klagemauer, das historische Symbol jüdischer Souveränität und die wichtigste heilige Stätte im Judentum. Einer Umfrage zufolge lehnen zur Zeit 70 Prozent der Israelis einen Kompromiß um Ost-Jerusalem grundsätzlich ab.

Absurderweise sind Felsendom und Klagemauer sprichwörtlich nur ein paar Meter voneinander entfernt - und die emotionalen Wallungen auf beiden Seiten entsprechend groß. Auf der wöchentlichen Kabinettssitzung in Jerusalem warnte der Chef des israelischen Inlandsgeheimdienstes, Avi Dichter, davor, daß extreme israelische Rechte nicht nur Mordpläne gegen Barak und Arafat schmiedeten, sondern auch über Wege zur Sprengung des Felsendoms nachdächten. Wieder einmal sind viele Augen im Nahen Osten auf die USA gerichtet. Welche Ergebnisse Barak und Arafat nach Hause mitbringen, wird sich sehr bald herausstellen. Die Kräfteverhältnisse, deren Beeinflussung allenfalls von kurz- und mittelfristigen Erwägungen der USA abhängt, versprechen jedenfalls nichts Gutes.

Max Böhnel, New York