HANDELSBLATT, Montag, 24. Juli 2000

Erdbebengefahr am geplanten Standort

Türkei sucht nach Alternativen zur Atomkraft

vwd/afp ANKARA. Wegen grundsätzlicher Bedenken gegen die Atomenergie erwägt die Türkei, auf den geplanten Bau ihres ersten Atomkraftwerks zu verzichten. Ministerpräsident Bülent Ecevit sagte der Zeitung "Milliyet" (Montagausgabe), die Türkei und die Welt hätten berechtigte Einwände gegen die Atomkraft und suchten inzwischen nach alternativen Energiequellen. Ecevits Regierung wollte die Entscheidung über die Auftragsvergabe für den Bau des ersten Atomkraftwerks des Landes ursprünglich am Montag bekannt geben, verschob den Beschluss dann aber um einen Tag. Ecevit sagte vor Journalisten in Ankara, das Kabinett werde sich am Dienstag mit der Frage befassen.

Um den Bau der geplanten Anlage in Akkuyu an der Mittelmeerküste bewerben sich das von der Siemens AG, Berlin/München, und der Framatome SA, Paris, geführte Konsortium Nuclear Power International (NPI) sowie das US-Unternehmen Westinghouse und eine kanadische Firma. Ankara hat die Auftragsvergabe bereits acht Mal verschoben. Im April lehnte das Finanzministerium eine finanzielle Absicherung des Vorhabens mit der Begründung ab, die hohen Kosten gefährdeten die Maßnahmen zur Inflationsbekämpfung.

Nach Angaben von Energieminister Cumhur Ersümer droht Westinghouse mit dem Rückzug aus der Ausschreibung, falls das Projekt noch einmal verschoben werden sollte. Kritiker fordern schon seit langem einen Verzicht auf das Atomkraftwerk und werfen der Regierung vor, die Erdbebengefahr am vorgesehenen Standort für den Atommeiler ignoriert zu haben.