taz ,24.7.2000

Europa noch dichter
Unter der Vorgabe, gegen Schlepper vorzugehen, wollen Innenminister und Polizeichefs unerwünschte Einwanderung noch schärfer bekämpfen

aus Paris DOROTHEA HAHN

Schengen war ein offenes und demokratisches Europa. Zumindest im Vergleich zu der Festung, die die Innenminister und Polizeichefs von 39 Ländern bauen wollen. Ende vergangener Woche diskutierten sie zwei Tage lang unter Ausschluss der Öffentlichkeit in fensterlosen Räumen eines Pariser Luxushotels über Methoden und Erfahrungen im Kampf gegen "Schlepperkriminalität" und "illegale Einwanderung" und versprachen, die polizeiliche Zusammenarbeit zu intensivieren, technisch und personell aufzurüsten und für repressivere Gesetze zu sorgen.

Frankreich, gegenwärtig Ratspräsident der Europäischen Union, hatte schon vor Monaten zu dem Seminar eingeladen. Der Erstickungstod von 58 asiatischen EinwandererInnen im vergangenen Juni in Dover sorgte dafür, dass die Sache zum Spitzenthema wurde und insgesamt 19 Innenminister und mehrere dutzend Polizeichefs und Experten für organisiertes Verbrechen anlockte. Im Gegensatz zu den Treffen der Polizeiexperten im engen Schengen-Kreis nahmen dieses Mal sämtliche EU-Länder sowie die Betrittskandidaten aus Osteuropa, die EU-Kommission, Europol und Interpol teil.

"Die Gemeinsamkeit ist größer geworden", erklärte der Chef des Bundesgrenzschutzes, Rüdiger Kass, "es gibt immer mehr Länder in Europa, die von illegaler Immigration betroffen sind. Dadurch ist auch die Bereitschaft gestiegen, sich an Sicherheitsmaßnahmen zu beteiligen." Außerdem habe man die "relevanten Personen" bei den zwei Tagen Workshop und gemeinsamen Essen persönlich kennen gelernt. "Wenn es mal ein Problem gibt", so Kass, "beispielsweise im Kosovo, wird auch das die Zusammenarbeit erleichtern".

Der Chef der französischen Grenzpolizei, Fulvio Raggi, stimmte dem Deutschen zu - mit dem Unterschied, dass er - zumindest gegenüber der Presse - nicht von "illegaler Immigration", sondern von "Wanderungsflüssen" redet.

Der französische Innenminister Jean-Pierre Chevènement, der das Seminar am Donnerstag eröffnete, nannte die Immigration "ein zentrales Thema des 21. Jahrhunderts" und erklärte, dass Europa "ein gewisses Maß an Mischung akzeptieren" müsse. Zur Begründung zitierte er Bevölkerungsexperten der UNO, die ermittelt haben, dass die EU bis ins Jahr 2050 mindestens 47,5 Millionen Einwanderer brauche, um ihre Bevölkerungszahl stabil zu halten, und 674 Millionen, um das gegenwärtige Gleichgewicht zwischen aktiver und versorgter Bevölkerung zu gewährleisten.

In den folgenden Diskussionen in vier Workshops konzentrierten sich die Teilnehmer auf die Repression. Nachdem EU-weit Quoten für Einwanderung und die Selektion von "richtigen Einwanderern" in Mode gekommen sind, wollen sie diese Politik operationell umsetzen. Unter anderem sollen Transportunternehmer europaweit mit Geldstrafen von "mindestens 2.000 Euro" pro "illegalem Einwanderer" haften und Schlepperorganisationen jeder Art schärfer bestraft werden. Während sich das Schengener Abkommen noch auf profitorientierte Fluchthelfer konzentrierte, unterscheiden die Pariser Konferenzteilnehmer nicht mehr zwischen mafiösen Fluchthelfern und solchen, die aus Sorge um die Menschenrechte aktiv werden.

Die britische Regierung möchte noch einen Schritt weiter gehen und die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 modifizieren. Laut der Londoner Staatsministerin für Immigrationsangelegenheiten, Barbara Roche, soll die Neufassung sogar für politische Flüchtlinge Quoten schaffen und dafür sorgen, dass eine Asyl-Berechtigung schon im Herkunftsland überprüft wird. Verfolgte hätten dann praktisch keine Chance mehr, nach Europa zu kommen.

Die einzigen außereuropäischen Stimmen zum Thema Wanderung ertönten während des Seminars vor den Toren des Luxushotels. Dort verlangten ein paar dutzend afrikanische "Sans-Papiers" nach "Aufenthaltsgenehmigungen für die Papierlosen", und einem "offenen, demokratischen Europa". Das sind dieselben Forderungen, mit denen im Jahr 1996 hunderttausende Franzosen auf die Straße gingen - darunter viele Sozialisten. Vier Jahre danach sind die Afrikaner wieder allein. Ihre sozialistischen Genossen sitzen in der Regierung