Süddeutsche Zeitung, 22.7.2000

Hochsaison für Menschenschmuggler

Im windstillen Sommer werden tausende Flüchtlinge aus Asien und dem Nahen Osten über die Ägäis in die EU geschleust

Auf Deutsch trägt der Fluss einen fröhlichen Namen, der nach Operettenseligkeit und Walzerlaune klingt. Doch tatsächlich markiert die Maritza, welche Griechenland von der Türkei trennt, eine der blutigeren Grenzen Europas, ohne dass der Kontinent allzu sehr davon Kenntnis nähme. Denn die griechische Seite der Grenze ist übersät mit Minen, und es kommt immer wieder vor, dass Menschen von diesen Sprengkörpern verletzt oder zerfetzt werden. Doch die illegalen Grenzgänger kennen die Gefahr nicht, oder sie schreckt sie nicht. Denn die griechisch-türkische Grenze in den thrakischen Hügeln ist eine der wichtigsten Flüchtlingsrouten aus Asien und dem Nahen Osten in die gelobten Länder der Europäischen Union. Erst diese Woche hat die türkische Gendarmerie hier 103 Personen aufgegriffen. Es waren Afghanen, Ägypter, Syrer und Palästinenser, und sie waren auf dem Weg nach Griechenland.

Weitaus beliebter als der Landweg ist bei den Menschenschmugglern jedoch die Route über die Ägäis. Im Sommer, wenn das Meer nicht von Stürmen gepeitscht wird, haben sie Saison. Erst am Donnerstag stellte die griechische Küstenwache östlich von Rhodos ein türkisches Boot. Auf der 14 Meter langen Burc waren 129 Menschen zusammengepfercht, darunter auch 32 Kinder. Am selben Tag erreichte der Frachter Sam die italienische Küste. Auf ihm waren 400 Flüchtlinge, zumeist irakische Kurden und Pakistaner, eingepfercht. Insgesamt griffen allein die griechischen Behörden in diesem Jahr 1500 Menschen auf; 53 Schlepper gingen ihnen ins Netz.

Bei dem Menschenschmuggel arbeiten Kriminelle aus mehreren Ländern eng zusammen. Im allgemeinen übernimmt die türkische Mafia die menschliche Ware nahe der Stadt Van von der iranisch-afghanischen Mafia und bringt sie nach Istanbul. Die Bosporus-Metropole ist Sammelstelle und Verteiler für die Migranten, zu denen nicht nur Inder, Bengalen und Afghanen gehören, sondern auch zahlreiche Kurden aus der Türkei. Von hier aus geht es per Bus an die Ägäis-Küste, wo albanische Kriminelle die Flüchtlinge übernehmen, um sie auf eine griechische Insel oder weiter nach Italien zu schaffen.

Aber auch Griechenland ist für die meisten von ihnen nur ein Transitland. Seit dem Beitritt Athens zum Schengener Abkommen über den freien Grenzverkehr hat die Bedeutung des Landes für die Menschenschmuggler zugenommen. Denn wegen des Wegfalls von Grenzkontrollen unter den Schengen-Staaten ist der Weitertransport nach Deutschland, Holland oder Österreich - einige der bevorzugten Destinationen - leichter geworden.

Die Verbrecher kennen keine Gnade, sobald sie den Reisepreis von mehreren Tausend Mark pro Person eingestrichen haben. Erst vor einer Woche rettete der türkische Küstenschutz 206 Menschen vor dem sicheren Tod. Sie waren von den Menschenschmugglern auf einem unbewohnten, türkischen Felseiland unweit der griechischen Insel Kastellorizo ausgesetzt worden. Als man sie nach zweitägiger Irrfahrt nachts von Bord jagte, sagte man ihnen, dass sie auf dem griechischen Festland seien.

Wolfgang Koydl