Frankfurter Rundschau, 21.7.2000

Türkei gibt brutales Vorgehen gegen Häftlinge zu

Revolte fordert viele Verletzte / Regierung mahnt Staatsanwälte zu Ermittlungen gegen Folter

ISTANBUL, 20. Juli (afp). Unter wachsendem öffentlichen Druck hat das türkische Innenministerium eingeräumt, dass bei einem Häftlingsaufstand im Südwesten des Landes vergangene Woche 33 Menschen zum Teil schwer verletzt worden seien. Einem Häftling wurde ein Arm abgerissen, als Sicherheitskräfte mit schwerem Räumgerät einen Zellentrakt einrissen, wie das Ministerium am Mittwochabend bestätigte. Unmittelbar nach dem Aufstand in der vergangenen Woche hatte es noch geheißen, die Häftlingsrevolte sei ohne Zwischenfall beendet worden.

Der Aufstand linksorientierter Häftlinge im Gefängnis von Burdur hatte für Schlagzeilen gesorgt, weil die Gefangenen über schwere Misshandlungen durch die Sicherheitskräfte berichteten.

Zwei türkische Zeitungen veröffentlichten Fotos von sechs Häftlingen, die am ganzen Körper schwere Prellungen und sonstige Verletzungen erlitten hatten.

Die Sicherheitskräfte in Burdur stürmten den Zellentrakt der Häftlinge, weil diese sich geweigert hatten, zu einem Gerichtstermin aus dem Gefängnis gebracht zu werden. Nach Zeitungsberichten wollten sie einem Transport nur zustimmen, wenn ihre Sicherheit garantiert werde; die Häftlinge hatten sich schon zuvor über Misshandlungen beklagt. Bei der anschließenden Stürmung des Zellentrakts setzten die Sicherheitsbehörde Tränengas und auch schweres Räumgerät ein. Nach Angaben des Innenministeriums verlor ein Häftling einen Arm, als er ein Räumfahrzeug attackierte. Der schwer verletzte Mann wurde in ein nahes Krankenhaus gebracht; später beobachteten Zeugen, wie sein abgerissener Arm von einem Straßenhund zerfleischt wurde.

Laut Innenministerium wurden bei den Auseinandersetzungen 16 Häftlinge und 17 Sicherheitsbeamte verletzt. Das Ministerium betonte, mit Rücksicht auf die Häftlinge seien bei der Stürmung keine Schusswaffen eingesetzt worden.

Als Konsequenz aus den vielen Urteilen des Straßburger Menschenrechtsgerichtshofes gegen die Türkei hat die Regierung in Ankara die türkischen Staatsanwälte zu gewissenhafteren Ermittlungen bei Foltervorwürfen aufgefordert. In einem am Donnerstag von der Zeitung Milliyet veröffentlichten Erlass droht Justizminister Hikmet Sami Türk den Staatsanwälten sogar damit, dass sie im Extremfall die von Straßburg einem Folteropfer zugesprochene Entschädigung aus eigener Tasche bezahlen müssten. Damit will Türk erreichen, dass Klagen von Häftlingen über Misshandlungen nicht mehr wie bisher ignoriert oder abgewiesen werden. "Es ist die Pflicht der Staatsanwälte, nicht nur gegen die Angeklagten Beweise zu sammeln, sondern auch für sie", heißt es in dem Erlass. Für das Europarats-Mitglied Türkei sind die Straßburger Urteile bindend.