DER STANDARD (A), 17. Juli 2000

Kein leichter Job für EU-Minister Yilmaz

Erweiterungskommissar Verheugen demonstrierte in der Türkei Optimismus

STANDARD-Korrespondent Jürgen Gottschlich aus Istanbul

Die Zeit der Deklarationen ist vorbei, jetzt beginnt die wirkliche Arbeit": Während seines zweitägigen Türkei-Besuches gab sich Günther Verheugen, EU-Kommissar für die Erweiterung der Union, betont optimistisch. "Wir sind auf einem guten Weg, und die Vorbereitung der Dokumente für die Beitrittspartnerschaft liegen im Zeitplan."

Verheugen bemühte sich, seine Türkei-Kenntnisse zu vertiefen, unter anderem besuchte er die mittelanatolische Stadt Kayseri, um das Land besser kennen zu lernen, als dies bei Stippvisiten nur in der Hauptstadt möglich wäre. "Ich möchte von den Leuten vor Ort erfahren, was sie von der EU erwarten, und Meinungen zum Integrationsprozess direkt von der Bevölkerung hören."

Was immer Verheugen in Kayseri erfuhr, sein zur Schau gestellter Optimismus basiert zurzeit vor allem auf dem Prinzip Hoffnung und nicht auf bereits erreichten Ergebnissen. Der Beginn seines Besuchs fiel genau mit der Bekanntgabe der Ernennung des früheren Ministerpräsidenten Mesut Yilmaz zum EU-Staatsminister zusammen. Einer der Gründe, warum seit dem Helsinki-Gipfel im Dezember letzten Jahres auf türkischer Seite kaum etwas passiert ist, ist ein erbittertes Kompetenzgerangel hinter den Kulissen. Der Hauptgrund dafür ist eben dieser Yilmaz.

Korruptionsvorwürfe

In der Dreiparteien-Regierung in Ankara hatte der Chef des kleinsten Koalitionspartners bislang kein Amt bekommen - die Korruptionsvorwürfe gegen ihn müssten erst geklärt werden, hieß es. Nach einem sonderbaren Deal im Parlament hat er es nun also geschafft, aber ob seine Ernennung wirklich dem Integrationsprozess der Türkei in die EU dient, darf bezweifelt werden. Obwohl Yilmaz persönlich die EU-Forderungen durchaus vertritt und beispielsweise in der Kurdenfrage als Hoffnungsträger gesehen wird, dürfte es ihm sehr schwer fallen, diese Positionen im Apparat auch durchzusetzen.

Jüngstes Beispiel ist die Debatte um die Rolle des Nationalen Sicherheitsrates. Eine vom Ministerpräsidenten eingesetzte Kommission, die feststellen sollte, welche Gesetze und Verordnungen in der Türkei im Zuge der Integration verändert werden müssen, hatte angeregt, die jetzige Dominanz der Militärs im Nationalen Sicherheitsrat dadurch zu relativieren, dass Zivilisten in diesem entscheidensten Gremium der türkischen Politik mehr Gewicht bekommen sollten. Der Vorschlag stieß im Generalstab auf heftigen Widerspruch, und es würde einer breiten Übereinstimmung der zivilen Politik bedürfen, um eine Machtbeschneidung der Militärs durchzusetzen. Eine solche Übereinstimmung zu organisieren, wird aber gerade einem Mann wie Yilmaz sehr schwer fallen.

Bibel zum EU-Beitritt

Erschwerend kommt hinzu, dass ihm nun nicht mehr viel Zeit bleibt. Spätestens bis zum EU-Gipfel in Nizza, erklärte Günter Verheugen in Kayseri, soll das entscheidende Dokument zur Beitrittspartnerschaft vorliegen. Darin wird die EU auflisten, was sie genau von der Türkei erwartet, und die Türkei wird einen so genannten "Nationalen Beitrittsplan" vorlegen, in dem festgelegt wird, in welchem Zeitraum das Land welche Reformen umsetzt: die Bibel zum türkischen EU-Beitritt.