Frankfurter Rundschau, 15.07.2000

Anspruch und Wirklichkeit klaffen auf der Expo weit auseinander
Nach dem finanziellen droht nun der moralische Bankrott / Beitrag von Amnesty International zur Türkei wurde abgebaut

Von Thomas Maron (Hannover)

Plakate preisen die "Zukunft für 69 Mark". Aber in der Gegenwart des Expo-Themenparks in Hannover scheinen die sorgenfreien Visionen noch nicht angekommen zu sein: Ein Beitrag von Amnesty International über Menschenrechtsverletzungen in der Türkei wurde von der Expo auf Drängen der Türkei erst einmal abgebaut. Und im Tanztheater "Zukunft der Arbeit" klagen überlastete Tänzer über unzumutbare Arbeitsbedingungen.

Im Streit mit Amnesty International (AI) hat das Expo-Management mittlerweile klein beigegeben. Themenpark-Chef Martin Roth kündigte an, dass die kritische Dokumentation über die Türkei umgehend wieder aufgebaut werde. AI hatte andernfalls damit gedroht, sich von der Expo zurückzuziehen. Auch Politiker hatten gegen die Expo-Maßnahme protestiert: Norbert Blüm (CDU) erklärte: "Feigheit darf kein Motto der Expo werden." Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Bundestag, Claudia Roth (Grüne), appellierte an Birgit Breuel, "nicht in die Arbeit von AI einzugreifen". Die Expo habe den "Aufbau Potemkinscher Dörfer nicht verdient". In dem Beitrag dokumentiert AI im Themenpark "Der Mensch" das Schicksal türkischer Folteropfer.

Der Eingriff der Expo-Führung war nicht angekündigt gewesen. Selbst Themenparkchef Martin Roth zeigte sich am Freitag von der Aktion überrascht und sichtlich verärgert: "Ich bin nicht informiert worden." Nach seinen Worten liegt die Verantwortung beim stellvertretenden Expo-Generalkommissar Norbert Bargmann. An ihn sollen entsprechende Appelle der Türkei gerichtet worden sein, er soll die Aktion veranlasst haben. Die Frage, wer von Seiten der Türkei Druck ausgeübt habe, ließ die Leitung der Weltausstellung unbeantwortet. Bargmann selbst stand für Fragen nicht zur Verfügung.

Dort, wo sich die Expo der "Zukunft der Arbeit" annimmt und dabei umstrittene Arbeitsbedingungen der Darsteller in Kauf nimmt, zeichnet sich dagegen keine Einigung ab. 94 Tänzerinnen und Tänzer setzen Forderungen wie "Die Lebensgrundlagen der Menschen müssen geschützt werden" choreographisch um. Die IG Medien, der nach eigenen Angaben seit Beginn der Weltausstellung rund 90 Prozent der Darsteller beigetreten sind, beschreibt in hartem Kontrast zu solchen Sätzen die dortigen Arbeitsbedingungen als "unzumutbar". Dabei gehört ausgerechnet der DGB zu den Hauptsponsoren dieses Ausstellungsbeitrags.

Inez Kühn, Vize-Landeschefin der IG Medien, sprach von einem Krankenstand von zeitweise bis zu 50 Prozent, größtenteils bedingt durch Überlastung der Muskulatur und der Gelenke. Zu Beginn mussten die Tänzer und Tänzerinnen bis zu sieben 50-minütige Shows täglich absolvieren. Außerdem werde rund 30 Prozent unter Tarif gezahlt. Am Dienstag verlieh die Künstler-Crew mit einem Warnstreik ihren Forderungen Nachdruck.

Die Produktionsfirma De Otte und De Vries kam den Tänzern in einigen Punkten entgegen: Neun Tänzer wurden neu verpflichtet, die Arbeitszeiten auf drei Shows pro Tag reduziert. Die Bietergemeinschaft des Deutschen Handwerks (Biege), die im Auftrag der Expo den Themenpark aufbaute, ließ außerdem laut eigenen Angaben Tanzböden für 100 000 Mark anbringen. Dennoch fordert die IG Medien den Abschluss eines Tarifvertrags.

Unterdessen ist die Zahl der Expo-Besucher der Expo erneut gesunken. In der sechsten Woche besuchten nach Angaben der Veranstalter 607 000 zahlende Gäste das Expo-Gelände, das waren 26 000 weniger als in der Vorwoche.