taz 11.7.2000

taz-Debatte

Freiheit und Demokratie
Gemeinsam mit dem heutigen Außenminister Joschka Fischer demonstrierte der Autor 1967 gegen den Besuch des Schahs. Heute begrüßt er dagegen den Besuch des iranischen Staatspräsidenten

von BAHMAN NIRUMAND

Der ehemalige Bürgermeister von Berlin, Heinrich Albertz, erzählte mir einmal, er habe am Morgen nach der großen Demonstration vor der Deutschen Oper in Berlin gegen den Schah beim Frühstück dem Kaiser berichtet, dass es am Vorabend zu Auseinandersetzungen gekommen und ein Student von einem Polizisten erschossen worden sei. "Machen Sie sich nichts daraus", habe der Schah gesagt, "das kommt bei uns öfters vor."

Es wird in diesen Tagen oft der Vergleich gezogen zwischen dem Staatsbesuch vor 33 Jahren und der gegenwärtigen Visite Chatamis in Berlin. Dieser Vergleich ist völlig abwegig. Der Schah, ein stets gern gesehener Gast in den westlichen Metropolen, war ein von seinem Volk verhasster Despot, der den Industrienationen die Ressourcen seines Landes zum Ausverkauf anbot. Chatami gehört hingegen einer Bewegung an, die, wie zuletzt im Februar dieses Jahres die Wahlen zum iranischen Parlament gezeigt haben, von nahezu 80 Prozent der iranischen Wähler unterstützt wird.

Ohne Zweifel wurden die Menschenrechte in der Islamischen Republik weitaus eklatanter verletzt als in den Zeiten unter dem Schah. Acht Jahre Krieg gegen den Irak, dem nahezu eine Million Menschen zum Opfer fielen, Folterungen und mehrere zehntausend offizielle Hinrichtungen, die massive Unterdrückung der Frauen, der nationalen und religiösen Minderheiten gehören zum unverkennbaren Markenzeichen des islamischen Gottesstaats. Doch es gab in diesem Staat auch einen Widerstand, der sich im Laufe der Jahre zu einer allgemeinen Protestbewegung formierte. Das Votum für Mohammad Chatami bei den Präsidentschaftswahlen vor drei Jahren war in erster Linie ein deutliches Nein gegen die bisherige Politik. Chatami hatte den Wählern eine zivile Gesellschaft und rechtsstaatliche Verhältnisse in Aussicht gestellt.

In der Tat leitete seine Amtsübernahme eine neue Phase ein, eine tief greifende gesellschaftliche Auseinandersetzung, die in der iranischen Geschichte ein Novum bildet. Oberflächlich betrachtet, geht es dabei um einen Machtkampf zwischen Konservativen und Reformern, doch unter dieser Oberfläche steht die kulturelle Identität auf dem Prüfstein. Es geht um das eigene Selbstverständnis der Frauen, der Jugend, um die Auseinandersetzung mit der Tradition und nicht zuletzt mit dem Islam. Wer hätte noch vor einigen Jahren sich vorstellen können, dass namhafte Geistliche sich eines Tages die Frage stellen würden, ob der Islam sich nicht einer grundlegenden Reform unterziehen müsste, um sich an die Moderne anzupassen und demokratischen Grundsätzen und Menschenrechten gerecht werden zu können. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet islamische Prediger eines Tages die Trennung der Religion vom Staat fordern würden.

Dass im Iran nach wie vor Menschenrechte verletzt werden, dass Intellektuelle, Schriftsteller, Journalisten, Studenten, auch Geistliche im Gefängnis sitzen, dass vor einigen Wochen nahezu die gesamte liberale Presse verboten worden ist, dass iranische Juden kürzlich in einem Schauprozess zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt wurden, hängt mit dem vehementen Widerstand der Konservativen zusammen, die immer noch die meisten Instrumente der Macht in der Hand haben. Wer Mohammad Chatami mit diesen Verbrechen in Verbindung bringt, hat von den Vorgängen im Iran keine Ahnung.

Wie die Regierung ist auch die iranische Opposition im Ausland nicht einheitlich. Die Mehrheit steht den Reformen positiv gegenüber. Es wird allerdings erwartet, dass endlich konkrete Schritte folgen. Gegen die Reformbewegung stehen einmal einige radikallinke Splittergruppen, die die Diktatur des Proletariats anstreben, und zum anderen die Volksmodjahedin. Der Protest der Volksmudschaheddin, die seit zwei Jahrzehnten unter der Obhut von Saddam Hussein im Irak stationiert und mit irakischen Waffen ausgerüstet sind, kann objektiv betrachtet nur den Interessen der Rechten im Iran dienen. Das ist nicht das erste Mal, dass die Volksmudschaheddin mit den Konservativen am gleichen Strang ziehen. Sie haben oft durch Attentate, denen Zivilisten zum Opfer fielen, den Rechten den Vorwand geliefert, den Reformprozess zu torpedieren.

Der Besuch Chatamis in Deutschland ist meiner Ansicht nach notwendig, denn jede Öffnung nach außen, insbesondere Deutschland und der Europäischen Union gegenüber, begünstigt die Öffnung nach innen. Der Staatsbesuch würde aber noch nützlicher sein, wenn die deutschen Gastgeber sich nicht, wie in der bisherigen Geschichte der deutsch-iranischen Beziehung üblich, allein an der politischen Macht orientieren und sich von kurzfristigen ökonomischen Interessen leiten lassen würden.

Als der Schah vor 33 Jahren nach Berlin kam, wurden seine Anhänger, als Jubelperser bekannt, mit BVG-Bussen zum Schöneberger Rathaus gefahren; sie durften, ausgerüstet mit Schlagstöcken und Eisenstangen, unter dem Schutz der Polizei auf die Demonstranten einschlagen. Die Kaisertreue der Deutschen, belohnt mit den Einnahmen aus dem reichlich fließenden Erdöl, kannte keine Grenzen. Selbst der Machtwechsel im Iran führte zu keiner grundsätzlichen Änderung der deutsch-iranischen Beziehungen. Genscher war der erste Außenminister aus Westeuropa, der den Mullahs seine Reverenz erwies. Während des achtjährigen Krieges zwischen Irak und Iran verhielt sich die Bundesrepublik neutral, in dem sie gleichzeitig beide Staaten reichlich mit Waffen und Kriegsmaterial versorgte. Nach wie vor wurden iranische Geheimdienstler und paramilitärische Kräfte Irans in Deutschland ausgebildet. Attentate von iranischen Killertruppen in Deutschland, wie im Berliner Lokal "Mykonos", waren möglich, weil es den Islamisten gelungen war, unter Wissen und mit Duldung der deutschen Sicherheitsbehörden, hier eine Infrastruktur aufzubauen. Wer wusste nicht, dass sämtliche von der iranischen Führung in Auftrag gegebenen Attentate in Europa von einer Zentrale in Köln gesteuert wurden. Auch der vom damaligen Außenminister Kinkel eingeführte kritische Dialog war nur eine Farce. Es war weder kritisch noch ein Dialog, sondern nur ein Monolog der Mullahs, bei dem die deutschen Zuhörer zur Wahrung des guten Scheins ihre Teilnahmepflicht erfüllten.

Der Besuch Chatamis ist zu begrüßen. Wenn, wie angekündigt, die alte Politik tatsächlich zu den Akten gelegt wird, wenn er, bei gleichzeitiger Wahrung der berechtigten Interessen Deutschlands, zur Stärkung der Reformbewegung im Iran führen würde. Joschka Fischer wird sich sicherlich noch an die Zeiten erinnern, in der wir gemeinsam gegen den Schah demonstrierten. Unsere Forderungen haben sich auch nach 33 Jahren nicht geändert: Freiheit und Demokratie. Das ist sicherlich auch dem Außenminister nicht entgangen.

Hinweise: Der Besuch Mohammad Chatamis in Deutschland ist meiner Ansicht nach notwendig Auch der von Ex-Außenminister Kinkel eingeführte kritische Dialog war nur eine Farce

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Bahman Nirumand ist Buchautor und freier Publizist, vor allem zum Thema Iran. Er schreibt u. a. für taz, "Zeit" und "Spiegel". 1967 beteiligte er sich in Berlin an den Demonstrationen gegen den Schah. Seit 1982 lebt er im deutschen Exil.