Bremer Nachrichten, 13.7.2000

Kommission droht Deutschland Klage an

Kritik an Abschiebepraxis für straffällige EU-Bürger

Brüssel/Berlin (dpa). Deutschland droht Ärger aus Brüssel wegen der Abschiebepraxis für straffällig gewordene EU-Bürger. Die EU-Kommission hat eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) angedroht. Dabei bezieht sie sich auf mehrere Fälle von ausgewiesenen Italienern, die zum Teil in Deutschland geboren sind. In einer am Dienstag in Brüssel veröffentlichten so genannten "begründeten Stellungnahme" wird die Bundesregierung aufgefordert, innerhalb von zwei Monaten Stellung zu nehmen. Fällt die Antwort nicht zufriedenstellend aus, kann die Kommission den EuGH anrufen. Sie hatte die Bundesregierung bereits im Juni vergangenen Jahres auf vermeintliche Rechtsverstöße aufmerksam gemacht.

Hintergrund der Klageandrohung ist die Ausweisung von EU-Bürgern aus Gründen der öffentlichen Ordnung. Damit würden Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts verletzt. Die Kommission wurde auf die Ausweisungen durch 70 Petitionen aufmerksam, die ihr das Europäische Parlament übermittelt hat. Sie richten sich überwiegend gegen Entscheidungen der Verwaltungsbehörden des Landes Baden-Württemberg und betreffen nahezu ausschließlich italienische Staatsbürger.

Ein Sprecher des baden-württembergischen Innenministeriums erklärte: "Wir sehen mit aller Gelassenheit den Vorwürfen entgegen." Für das Ministerium seien die Bestimmungen des Bundesausländergesetzes und des Aufenthaltsgesetzes der EWG maßgeblich. Zudem verwies er darauf, dass in der Regel die Betreffenden vor ihrer Ausweisung die Gerichte anrufen würden. Durch die Entscheidung der Gerichte werde sicher gestellt, dass nationales und EU-Recht gewahrt werde.

In Deutschland haben in den ersten sechs Monaten dieses Jahres wesentlich weniger Menschen um Asyl nachgesucht als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Wie das Bundesinnenministerium am Dienstag in Berlin mitteilte, wurden 35949 Erstanträge auf Asyl gestellt, 22,6 Prozent weniger als im ersten Halbjahr 1999.