Kurier (A), 11.7.2000

Europa öffnet seine Festungstore

EU-Kommission will im Herbst Gesetzesvorschlag über Migration vorlegen / Innenminister Strasser verlangt gemeinsame Kriterien für Asylwerber

Täglich werden an Spaniens Küste Leichen illegaler Einwanderer angespült. Die Beamten der Guardia Civil beklagen sich, kein Geld mehr für Särge zu haben.

Eine halbe Million Einwanderer kamen 1999 illegal nach Europa. Die Zahl der Asylanträge und der negativen Bescheide nimmt von Jahr zu Jahr zu.

Was kann die EU dagegen tun? "Wir brauchen eine bessere Koordination der Einwanderungspolitik, einheitliche Aufnahmebedingungen von Asylwerbern und Flüchtlingen, einheitliche Informationssysteme sowie gemeinsame Asylverfahren", erklärt Innenminister Ernst Strasser gegenüber dem KURIER.

Um menschliche Tragödien, wie jene von Dover, wo 58 Chinesen in einem LKW-Container erstickten, zu vermeiden, will die EU-Kommission im Herbst ein Einwanderungsgesetz vorlegen, in dem Mindeststandards für eine gesteuerte Zuwanderung in Europa festgelegt sind.

"Die Kommission geht davon aus, dass eine offene und nachvollziehbare Politik für legale Einwanderung den Druck von Asylverfahren nimmt, die gegenwärtig das wichtigste Instrument für legale Einreisen in die Union darstellen", heißt es in einem Geheimpapier des für Einwanderungsfragen zuständigen portugiesischen Kommissars Antonio Vitorino.

Dabei sollen die Mitglieder selbst bestimmen, ob sie Quoten wünschen oder es bei Einzelinitiativen wie der Green Card in Deutschland bleibt.

Vitorino schlägt in seinem Gesetzesentwurf Rules for Legal Immigrations drei Kriterien vor, die EU-weit bei der Einwanderung gelten sollen: Die Zuwanderer müssen ihre Identität beweisen sowie ein polizeiliches Führungszeugnis und einen Arbeitsvertrag vorlegen können. Damit würden ihre Arbeitgeber zur Zahlung von Steuern und Sozialabgaben verpflichtet.

Neben dem Vorschlag für legale Einwanderung ("ein heißes Eisen", meint Strasser) will der EU-Kommissar den 15 Innenministern im Herbst noch einen Entwurf einer EU-Richtlinie für einheitliche Normen im Asylrecht vorlegen.

"Die Unterschiede in den einzelnen Ländern, nach welchen Kriterien Asylwerber anerkannt und wie sie behandelt werden, sind noch zu groß und laden zu Missbrauch ein", beschreibt Innenminister Strasser das Problem. Er plädiert, dass es "am Ende des Tages in Europa nicht nur Mindeststandards, sondern eine wirkliche gemeinsame Asylpolitik gibt." Die Entscheidung darüber liege aber bei den Mitgliedsstaaten, die einstimmig getroffen werden muss.

Neben einheitlichen Asylverfahren erwartet Strasser von der französischen Präsidentschaft einen neuen Entwurf für eine Richtlinie zur Familienzusammenführung und den Beschluss über den Europäischen Flüchtlingsfonds. "Länder wie Österreich, die vorbildhaft Flüchtlinge aufgenommen haben, sollen ihre Leistung auch abgegolten bekommen".

Der VP-Minister kündigt an, bei den Verhandlungen über den Verteilungsschlüssel der Fondsgelder "hart" bleiben zu wollen. "Bevölkerungszahl sowie die Zahl der aufgenommenen Flüchtlinge müssen gleichermaßen berücksichtigt werden."

"Keine Kraft für die Rückkehr"

Leere Augen blicken einem entgegen, wenn man das Mautner Markhof Spital betritt. Wartende Augen, die in einen Fernseher starren. Nur die riesigen bunten Malereien an den Wänden erinnern daran, dass das Gebäude im dritten Bezirk in Wien einmal ein Kinderspital war.

Jetzt sitzen auf der braunen Couch in der großen Eingangshalle Flüchtlinge. Menschen, die der Krieg in Bosnien und im Kosovo aus ihrer Heimat vertrieben hat. Es sind nur mehr 21 - sechs Bosnier und 15 Kosovaren - die hier wohnen.

Insgesamt waren Ende Mai noch 800 Kosovaren, die im Rahmen der Kosovo-Aktion herkamen, in Österreich. Wie viele es jetzt noch sind, kann man nicht genau sagen. "Wir bekommen laufend Meldungen über Rückflüge", weiß die zuständige Gruppenleiterin im Innenministerium, Heide-Marie Fenzl. Die Kosovo-Aktion läuft mit 31. Juli aus.

Ramadan gehört zu jenen, die noch in Österreich sind. Er kommt aus der Gemeinde Prizren im Kosovo. Vor 15 Monaten brachte ihn die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen nach Österreich. Seit September 1999 hat er keine Niere mehr. Die Schwellungen auf seinen Armen stammen von der Dialyse: "Jeden zweiten Tag muss ich an den Röhren hängen.

Eine Behandlung, die im Kosovo nicht möglich wäre. Schon gar nicht die Nierentransplanatation, auf die der 36-Jährige hofft. "Das ist mein größter Traum", schwärmt er mit leuchtenden Augen. "Ich habe total vergessen, wie sich ein normaler Mensch fühlt." Deshalb will er hier bleiben, auch wenn die Kosovo-Aktion ausläuft. Und obwohl Frau und fünf Kinder im Kosovo sind. "Ich glaube, dass ich hier bleiben darf. Ich habe nicht die Kraft, zurückzukehren."

226 Flüchtlinge sind nach Länder-Angaben so wie er "schutzbedürftig". Menschen mit schweren Erkrankungen oder "Traumatisierung". Sie können sich mit einem Ersuchen, bleiben zu dürfen, und den entsprechenden Befunden an das jeweilige Land wenden, heißt es im Innenministerium.

Ramadan hat das Schreiben schon verfasst und es an Politiker und Hilfsorganisationen geschickt. Dass er wirklich bleiben darf, konnte ihm jedoch bisher niemand garantieren.

Anspannung liegt in der Luft. Keiner weiß genau, was Ende Juli sein wird. "Ich spüre, dass alle nervös sind." Mehr will Ramadan über die Angst nicht reden.

Autor: Margaretha Kopeinig, Susanna Heubusch