Kieler Nachrichten, 11.7.2000

Interview mit Außenminister a.D. Klaus Kinkel: "Der Besuch Chatamis ist wichtig und richtig"

KN: Es gibt noch immer schwere Menschenrechtsverletzungen im Iran, das Regime unterstützt Terroristen. Ist der angestrebte Neuanfang unter diesen Voraussetzungen überhaupt möglich?

Kinkel: Man sollte vorsichtig und ohne Euphorie versuchen, aus dem schweren Fahrwasser herauszukommen, in das die Beziehungen geraten waren. Der Besuch ist wichtig, richtig und kommt zum passenden Zeitpunkt. Allerdings erwarte ich von der Bundesregierung, dass sie massiv die Menschenrechtsverletzungen anspricht. Das erwarte ich insbesondere von Herrn Fischer, der in seiner Oppositionszeit großspurig verkündet hat, wie mit dem Iran umzugehen ist.

Fischer hat wegen der Iran-Politik der alten Regierung Ihren Rücktritt gefordert. Was muss er heute tun, um die Einhaltung der Menschenrechte voranzubringen?

Man muss die Grenzen der Einflussmöglichkeiten klar sehen und darf keine überzogenen Erwartungen haben. Deshalb ist es ja so wichtig, dass der Besuch stattfindet und dass man oft miteinander über die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen spricht. Man darf aber nicht auf Samtpfoten um das Thema Menschenrechte herumschleichen - wie im Fall China oder Tschetschenien und in Sachen Türkei.

Kann der Besuch Chatamis Position stärken oder bedeutet er nicht sogar eine Gefährdung?

Er bedeutet sicher keine Gefährdung. Der Besuch muss zeigen, dass die orthodoxen Kräfte falsch liegen. Deshalb ist es ja so gut, dass die traditionell guten Beziehungen zu Deutschland das möglich gemacht haben. Wir müssen Chatami unterstützen. Er steht für eine moderate Öffnung nach innen und außen. Ohne einen mutigen Versuch geht es nicht.

Sind die Proteste ein Problem für den iranischen Staatspräsidenten?

Natürlich sind die massiven Proteste ein Problem. Aber damit muss er leben.

Verfolgt die Bundesregierung ein schlüssiges Konzept?

Solange Rot-Grün in der Opposition war, haben sie großspurig die Menschenrechte vertreten. Seit sie in der Regierung sind, ist alles auf kleine Münze heruntergefahren. Wir werden sehr genau beobachten, was sie tun und wie sie es tun. Gott sei Dank aber ist die Bundesregierung in der Realität angekommen.

Weckt die deutsch-iranische Annäherung Skepsis in den USA?

Das war eine Zeitlang so, aber heute stimmt das nicht mehr. Die USA haben ihre Politik dem Iran gegenüber verändert. Bill Clinton hat seine Haltung mehr auf unsere frühere Politik des kritischen Dialogs zu bewegt. Natürlich ist man in Washington weiter vorsichtig gegenüber diesem Regime. Ich glaube aber, dass der Besuch im Grundsatz begrüßt wird.

Interview FRANK LINDSCHEID