Süddeutsche Zeitung, 10.7.2000

Kleinlicher Zank ums Weltgericht

Verzögerter deutscher Beitritt zum Strafgerichtshof nützt seinen Gegnern

Es gibt nur wenige Themen, bei denen sich Regierung und Opposition derzeit prinzipiell einig sind. Eines ist der Internationale Strafgerichtshof. Alle Parteien im Bundestag wünschen, dass Deutschland dem Weltgericht rasch beitritt. Doch genau das haben SPD und CDU nun verhindert: Wegen eines kleinlich wirkenden Streits im Rechtsausschuss kann der Bundestag das Gerichts-Statut immer noch nicht ratifizieren. "Es ist sehr enttäuschend, dass hier mit innenpolitischen Machtspielen versucht wird, Profil zu gewinnen", kritisierte Nils Geißler, Völkerrechtsexperte von Amnesty International. Und Jan Harder vom Komitee für ein effektives Völkerstrafrecht befürchtet sogar, Deutschland könnte seine Schrittmacher-Rolle für das Tribunal verlieren.

Die Errichtung des Weltgerichts wurde 1998 von einer Völkerkonferenz in Rom beschlossen. Danach kann das Tribunal schwerste Verbrechen wie Völkermord weltweit ahnden, sobald mindestens 60 Staaten sein Statut ratifiziert haben. Bisher haben das 14 Länder getan, darunter Italien, Frankreich und Kanada. Auch Deutschland wollte unter den Ersten sein und die Ratifizierungsurkunde Mitte Juli am Sitz der Vereinten Nationen in New York hinterlegen. Hierzu hätte der Bundestag am Freitag aber das Statut ratifizieren müssen. Ein Formulierungsstreit hat das verhindert.

Dabei geht es um den Wortlaut einer Grundgesetzänderung. Artikel 16 bestimmt bisher, dass kein Deutscher an das Ausland ausgeliefert werden darf. Nun wollen Regierung wie Opposition Auslieferungen an einen internationalen Gerichtshof oder an EU-Staaten erlauben. Doch der genaue Wortlaut der Änderung ist seit längerem umstritten. Trotzdem ließ Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) erst vergangenen Montag und damit sehr spät einen Kompromissentwurf an die Opposition faxen. Zu spät, fand der Vorsitzende des Bundestags-Rechtsausschusses, Rupert Scholz (CDU). "Wenn die Justizministerin diesen Vorschlag rechtzeitig gebracht hätte, dann hätte es das Problem nicht gegeben", sagt er. Doch so lasse man nicht mit sich umspringen. Ein Sprecher der Ministerin kontert: "Das passt in die politische Großwetterlage. Die CDU blockiert im Moment einfach alles.


Unter Völkerrechtlern wird vermutet, dass es auch Animositäten zwischen den beiden Juraprofessoren Scholz und Däubler-Gmelin sind, die den Beitritt zum Weltgericht fürs Erste verhindert haben. Nun hoffen alle Seiten, dass es im Herbst soweit sein wird. Doch bis dahin geht wertvolle Zeit verloren. Denn das Tribunal hat mächtige Feinde, vor allem die USA. Die Regierung in Washington will nur einen schwachen, von ihr abhängigen Gerichtshof und versucht, das Statut entsprechend zu verändern.

Vor allem Deutschland hat sich unter den Regierungen Kohl wie Schröder gegen solche Versuche gestemmt. Deshalb hat die Bundesrepublik für viele Staaten eine Vorkämpfer-Funktion, die sich alleine nicht gegen die USA zu stellen trauen. Ratifiziert Berlin, ziehen zahlreiche Länder nach. Und je mehr Staaten das Statut ratifiziert haben, desto schwerer lässt es sich noch verwässern.

Der Münchner Jura-Professor Bruno Simma ist überzeugt: Ein rascher Beitritt Deutschlands hätte dem Internationalen Strafgerichtshof den nötigen "Schub gegeben. Doch diese Chance wurde nun verpasst.

Stefan Ulrich