Die Welt, 10.7.2000

Union fürchtet sich vor Einwanderungswelle

Innenpolitischer Sprecher Marschewski: EU-Richtlinie lässt zusätzlich 500000 Menschen pro Jahr ins Land

Von Armin Fuhrer

Berlin - CDU/CSU warnen vor einer unkontrollierten Einwanderungswelle durch die geplante Richtlinie zur Familienzusammenführung bei Drittstaatsangehörigen. "Sollte die Brüsseler Richtlinie umgesetzt werden, wäre eine zusätzliche Zuwanderung von bis zu 500 000 Menschen pro Jahr allein für Deutschland zu erwarten", sagte der innenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Erwin Marschewski, der WELT. Das mache jegliche Zuwanderungssteuerung unmöglich, so der CDU-Politiker. Er kündigte an, dass die CDU/CSU-Abgeordneten im Europäischen Parlament den Entwurf ablehnen werden.
Ziel der EU-Richtlinie ist es, die Zusammenführung von in der Union lebenden Nicht-EU-Bürgern mit ihren Familien zu erleichtern. Dazu sollen die Rechte der Betroffenen EU-weit einheitlich geregelt werden. Im Vergleich zu den gültigen deutschen Regelungen, die CDU und CSU ohnedies für zu freizügig halten, würden die Betroffenen nach den Vorstellungen der EU-Kommission noch deutlich ausgeweitete Rechte bekommen. Damit seien die Interessen Deutschlands, wo deutlich mehr Ausländer aus Drittstaaten leben als in den anderen EU-Staaten, in keiner Weise berücksichtigt, so Marschewski. Deutschland hat einen Anteil von 5,8 Prozent Drittstaatsangehöriger an der Wohnbevölkerung. In Portugal dagegen seien es nur 0,1 Prozent.

Auch Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) gilt als Kritiker der geplanten Regelung. So haben sich die beiden Regierungsfraktionen beispielsweise gerade auf ein Zuzugsrecht für homosexuelle Lebenspartner geeinigt. Das lehnt Schily strikt ab, weil damit Missbrauchsmöglichkeiten gegeben wären.

Konkret kritisieren die Unionsparteien zehn Punkte der Richtlinie. So sei unter anderem der Kreis der Begünstigten zu weit gefasst. Verfehlt sei der Ansatz der Kommission, allen Ausländern aus Drittstaaten, die noch mindestens ein Jahr in ihrem Gastland bleiben dürfen, die Familienzusammenführung zu ermöglichen. Die Union fordert dagegen, den Nachzug nur dann zu ermöglichen, wenn der Drittausländer auf Dauer im Gastland bleiben wolle und dürfe.

Kritik wird auch an der Vorstellung der Kommission geübt, den Ehegattennachzug bereits bei einem Aufenthalt von einem Jahr zu ermöglichen. Marschewski: "Diese Änderung kann eine deutliche Erhöhung des Familiennachzugs von Ehepartnern zur Folge haben." Marschewski hält der geplanten Richtlinie entgegen: "Der Familiennachzug im Ausländergesetz muss keineswegs erweitert, sondern er muss begrenzt werden." Er müsse sich viel stärker an der Integrationsfähigkeit der Gesellschaft orientieren. "Darauf hat die EU-Kommission überhaupt keinen Wert gelegt", so der CDU-Politiker.