Die Welt, 10.7.2000

"Die Union diskutiert über Einwanderung viel zu nervös"

Saarländischer Ministerpräsident Müller kündigt eigene CDU-Kommission an

Von Roland Nelles

Berlin/Saarbrücken - Die CDU wird in ihrer heutigen Präsidiumssitzung offiziell eine eigene Kommission zur Zuwanderung einsetzen. Sie soll parallel zu der von der Bundesregierung geplanten Einwanderungskommission ein Zuwanderungskonzept entwickeln. Der Vorsitzende des neuen CDU-Gremiums, Saarlands Ministerpräsident Peter Müller, kündigte im Gespräch mit der WELT an, dass seine Partei zu einem Konsens mit der Regierung bei der Zuwanderung bereit sei. Zunächst müssten jedoch die Ergebnisse der beiden Kommissionen abgewartet werden. "Ich halte es für sinnvoll, dass wir die Frage der Zuwanderung gemeinsam lösen", sagte Müller. Mit ihrer Einwanderungskommission wolle die Regierung das Thema nur "auf die lange Bank" schieben. "Die Koalition hat erkannt, dass die Zuwanderungsdebatte zu einer Belastung für sie werden könnte", so Müller. "SPD und Grüne schaffen es bei der Zuwanderung nicht, Geschlossenheit herzustellen. Die Positionen von Bundesinnenminister Otto Schily sind meilenweit von denen der Grünen entfernt." Deshalb wolle sie das Thema mit der Kommission in dieser Legislaturperiode "totmachen".

In diesem Zusammenhang muss nach Ansicht von Peter Müller auch die Benennung der CDU-Politikerin Rita Süssmuth als Vorsitzende der Kommission der Bundesregierung gesehen werden. "Dies ist der durchschaubare Versuch, einen Streit in der Union anzuzetteln, um von den eigenen Problemen abzulenken", so der Ministerpräsident.

Zu seinen Vorstellungen über ein Zuwanderungsgesetz sagte Müller, er sei schon lange der Ansicht, "dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Das ist die Realität." Wenn nun die Zuwanderung erstmals geregelt werde, dürfe man dabei nicht künstlich zwischen unterschiedlichen Zuwanderungsgründen unterscheiden. Das Einwanderungsgesetz und das Asylrecht müssten im Zusammenhang diskutiert werden. Die Position von Bundespräsident Johannes Rau, wonach zwischen der Zuwanderung aus wirtschaftlichen Gründen und dem Asylrecht eine "Brandmauer" aufgebaut werden müsste, sei "Realitätsverweigerung".

Mit Blick auf die eigene Partei wies Müller Befürchtungen zurück, die Debatte über ein Zuwanderungsgesetz könnte konservative Stammwähler vergraulen. "Es herrscht in vielen Köpfen noch die Vorstellung, dass mit einem Einwanderungsgesetz die Tore aufgemacht werden. Aber ein Einwanderungsgesetz ist ja gerade keine Einladung an alle Mühsamen und Beladenen, nach Deutschland zu kommen. Alle Einwanderungsgesetze der Welt orientieren sich an den Interessen der aufnehmenden Staaten. Es sind Begrenzungsgesetze, in denen die Staaten sagen, welches Maß an Einwanderung sie verkraften können und nach welchen Kriterien sie die Zuwanderer auswählen. Wenn wir dies vermitteln können, werden wir keine Stammwähler verlieren."

Müller räumte ein, dass die Zuwanderungsdebatte derzeit auch in seiner eigenen Partei noch viel zu nervös geführt werde. "Das führt dazu, dass fragmentarische Elemente in der Debatte auftauchen, die nicht zusammenpassen", so der Ministerpräsident. Als Beispiel nannte Müller die Blue-Card-Initiative, mit der Bayern versucht, ausländische Computerfachkräfte ins Land zu holen. Müller: "Man kann nicht auf der einen Seite versuchen, mit einer Blue Card die Green-Card-Initiative der Bundesregierung zu überholen und gleichzeitig davon reden, dass es darum geht, die Zuwanderung in Deutschland zu vermindern. Das passt nicht zusammen. Solche Positionen sind intellektuell schwer vermittelbar."