Die Welt, 10.7.2000

Für die Zuwanderung brauchen wir jetzt ein Gesamtkonzept

Asylrecht, Migration, Integration, Aussiedler: Alle Bereiche müssen nach deutschen Interessen neu geordnet werden

Von Alois Glück

Ein Gutes hatte die durch Bundeskanzler Gerhard Schröder ausgelöste Zuwanderungsdebatte: Mittlerweile wird auch in Deutschland parteiübergreifend Zuwanderung auch mit Blick auf deutsche Interessen diskutiert. Bemerkenswert auch, was den Tonfall anlangt, wenn Bundesinnenminister Schily davon spricht, dass man unterscheiden müsse zwischen "Zuwanderung, die die Sozialkassen erheblich belastet, und Zuwanderung, die unseren wirtschaftlichen Interessen entspricht". Bayern hat mit seinem Blue-Card-Konzept gezielt auf diese Diskussion reagiert. Dabei wurden nochmals die Nachteile und Schwächen der Green-Card-Pläne der Bundesregierung deutlich. Die bayerische Lösung erlaubt im Vergleich dazu bereits auf der Grundlage des geltenden Rechts wesentlich flexiblere Lösungen.

Isolierte Lösungen helfen hier nicht weiter. Wir brauchen eine Neuordnung des gesamten Zuwanderungsrechts. Asylrecht, Zuwanderung und die Einwanderung von Aussiedlern können nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Denn Handlungsspielraum für eine im Interesse von Staat und Gesellschaft gelegene zusätzliche Aufnahme von Ausländern schaffen wir nur dadurch, dass wir die hohe Zuwanderung nach Deutschland in anderen Bereichen reduzieren.

Mit einem Ausländeranteil von neun Prozent nimmt Deutschland mittlerweile einen Spitzenplatz ein. Die Zahl der hier lebenden Ausländer hat sich zwischen 1972 und 1998 mehr als verdoppelt. In den kommenden Jahren ist vor allem durch die EU-Osterweiterung mit weiterer Zuwanderung zu rechnen. Dies sind nur einige Schlaglichter, die zeigen, dass wir Gefahr laufen, die Akzeptanz der Bevölkerung für Integration zu überfordern. Wer Integration wirklich will, muss aber dafür Sorge tragen, dass sich auch die deutsche Bevölkerung mit ihren berechtigten Sorgen, Anliegen und Nöten von der Politik angenommen fühlt. Wer nicht sieht, dass das Zusammenleben von Menschen verschiedenster Herkunft tagtäglich auch mit großen Schwierigkeiten
verbunden ist, verrät eine Einseitigkeit, die nur polarisierend wirken kann und auf Dauer rechtsradikale Parteien stärkt.

Ein unbegrenzter und ständiger Neuzuzug würde darüber hinaus die Integration der hier lebenden Ausländerinnen und Ausländer erschweren. Auch dieser Aspekt wird häufig nicht mit dem notwendigen Gewicht gewürdigt.

Wer also die Integration der bereits rechtmäßig in Deutschland lebenden Ausländerinnen und Ausländer ernsthaft weiterbringen will, darf die Frage von Zuwanderung nach Deutschland nicht isoliert diskutieren. Wir müssen deshalb auch über Änderungen des Asylrechts sprechen, die die grundgesetzlichen Regelungen mit umfassen. Denn auf Dauer ist es nicht hinzunehmen, dass weniger als 15 Prozent der Antragsteller als Asylberechtigte anerkannt werden oder vorübergehenden Abschiebungsschutz erhalten. Wir müssen auch zu einer deutlichen Verkürzung der Asylverfahren gelangen. Dies hat nichts mit Inhumanität zu tun. Denn erst die Aussicht auf längeren Aufenthalt vieler Asylbewerber in Deutschland, macht unser Land so attraktiv für Menschenhändler und Schlepperorganisationen weltweit. Gerade die Möglichkeit, jahrelang in Deutschland zu bleiben, bevor, wie in den meisten Fällen, dann doch die Abschiebung erfolgen muss, führt zu menschlichen Härten. Die Menschen haben sich eingelebt, obwohl absehbar war, dass sie hier nicht auf Dauer bleiben können. Die Aufnahme wirklich politisch Verfolgter steht bei alledem überhaupt nicht zur Disposition.

Leider lässt die Politik von SPD und Grünen diese grundlegenden Einsichten weitgehend vermissen: Appelle zur Integration sind häufig, es wird aber wenig dafür getan, Integration wirklich voranzubringen. Wir dürfen es keinesfalls zulassen, dass sich bestimmte gefährliche Entwicklungen in Deutschland noch verstärken. So sind beispielsweise in jüngster Zeit, besonders bei den Ausländern der zweiten und dritten Generation, Desintegrationstendenzen feststellbar. Diese äußern sich in einem geringeren Grad an sozialen Kontakten zu Deutschen und einer verstärkten Ab- und Ausgrenzung. Es entwickeln sich so genannte Parallelgesellschaften.

Angesichts der dennoch feststellbaren Fehlentwicklungen dürfen wir beim Erreichten jedoch nicht stehen bleiben. Auch dabei gilt: Schnellschüsse helfen nicht weiter. Wir brauchen wohl überlegte und fundierte Konzepte. Ein Beispiel: Wenn es gelänge, das Angebot einer islamischen Unterweisung in türkischer Sprache, das in Bayern seit Anfang der achtziger Jahre besteht, in Richtung eines islamischen Religionsunterrichts bzw. einer islamischen Unterweisung in deutscher Sprache weiterzuentwickeln, dann wäre dies ein wichtiger Beitrag für eine Verbesserung von Integration. Dies jedoch lediglich zu fordern, wie es die Oppositionsparteien in Bayern tun, reicht nicht aus. Gerade solch schwierige Entscheidungen benötigen sorgfältige Vorbereitung, sollen die damit verbundenen Hoffnungen sich auch erfüllen.

Zum Gelingen von Integration muss die deutsche Politik ihren Beitrag erbringen. Wie der Bericht der Bayerischen Staatsregierung zeigt, setzen sich an unterschiedlichsten Stellen auch viele Deutsche mit großem Engagement für Integration ein. Eines darf dabei aber nicht vergessen werden: Den maßgeblichen Beitrag zur Integration müssen weiter die Ausländerinnen und Ausländer selbst leisten. Unverzichtbar dabei sind vor allem die Beherrschung der deutschen Sprache und die Beachtung der in Deutschland geltenden Rechts- und Gesellschaftsordnung.

Wer Integration und eine Steuerung von Zuwanderung auf der Grundlage deutscher Interessen will, kommt nicht an der Einsicht vorbei: Wir brauchen ein Gesamtkonzept für eine verantwortungsvolle und zukunftsgerichtete Neuordnung des Zuwanderungsrechts.

Der Autor ist Vorsitzender der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag und Vorsitzender der Grundsatzkommission der CSU