Freie Presse, 10.7.2000

Dutzende Verletzte bei Studentenprotesten in Iran

- Milizen jagen Studenten durch die Straßen

Am ersten Jahrestag des gewaltsamen Polizeieinsatzes gegen iranische Studenten sind bei neuen Krawallen in Teheran wieder mehrere dutzend Menschen verletzt worden. Nach einer friedlichen Kundgebung jagten am Samstag islamische Milizen und Gegner des reformorientierten Präsidenten Mohammed Chatami die Studenten durch die Straßen. Laut Augenzeugen gab es mehrere hundert Festnahmen. Die größte Studentenorganisation des Landes lehnte jede Verantwortung für die Krawalle ab. Die iranische Presse gab vom Ausland gesteuerten "Provokateuren" die Schuld. Der geistliche Führer Ayatollah Chamenei berief am Sonntag führende konservative und reformorientierte Kräfte zu einem "Versöhnungstreffen" ein. Daran nahm auch Präsident Chatami teil, der am Montag zu seinem ersten Deutschland-Besuch in Berlin erwartet wird.
Am Samstag hatten sich etwa 10.000 Studenten vor der Universität von Teheran versammelt, um an die Niederschlagung der Studentenproteste am 8. Juli 1999 zu erinnern. Damals waren mindestens drei Demonstranten gestorben. Die eigentliche Kundgebung, bei der die Studenten die Freilassung politischer Gefangener und Pressefreiheit verlangten, verlief friedlich. Als sich die Demonstration gerade auflöste, rückten islamische Milizen an und begannen damit, auf die Studenten einzuprügeln. Die Polizei setzte Tränengas ein. Nach Angaben der oppositionellen Volksmudschaheddin schoss sie auch mit scharfer Munition. Bis zum Abend hatte sich die Lage wieder beruhigt.

Irans größte Studentenbewegung, das "Büro zur Festigung der Einheit", bestritt in einer Presseerklärung eine Verwicklung in die Zusammenstöße. Auf ihre Einladung hin stand am Sonntag in der Teheraner Universität ein "Seminar gegen die Gewalt" auf dem Programm, an dem auch der Reformpolitiker Mohammed-Resa Chatami teilnehmen wollte, der Bruder des Präsidenten.

Ayatollah Chamenei berief nach iranischen Fernsehberichten Konservative und Reformpolitiker zu einem "Treffen der Versöhnung und Solidarität" ein. Bei der Zusammenkunft in seiner Residenz in Teheran waren demnach alle führenden Politiker des Landes anwesend, an der Spitze Präsident Chatami. Der Ayatollah hatte in den vergangenen Monaten mehrfach beide Strömungen dazu aufgerufen, sich gegenseitig zu tolerieren.

(AFP)