Die Welt, 10.7.2000

Gewalttätige Proteste im Iran

Parlamentspräsident ruft Opposition zur Besonnenheit auf - Chatami in Deutschland

Teheran/Berlin - Einen Tag nach gewaltsamen Zusammenstößen zwischen oppositionellen Demonstranten und militanten Anhängern des Mullah-Regimes hat sich die Lage in Teheran wieder entspannt. Der Bruder des iranischen Präsidenten Mohammed Chatami, Mohammed-Resa Chatami, rief die Bevölkerung zur Ruhe auf. "Wir sollten durch aktiven Frieden und Gewaltlosigkeit den Weg für Reformen öffnen", sagte der stellvertretende Parlamentspräsident Chatami. Bei den Zusammenstößen waren mindestens zwölf Menschen verletzt worden.
Nach einer zunächst friedlichen Demonstration für mehr Demokratie kam es zu Ausschreitungen zwischen beiden Gruppen. Wie die Nachrichtenagentur Irna meldete, griffen rund 60 Anhänger des Regimes die Demonstranten an. Sie seien mit Metallketten bewaffnet gewesen. Beide Seiten bewarfen sich mit Steinen. Gruppen von Demonstranten schlugen Schaufensterscheiben ein und verbrannten konservative Zeitungen.

Die Polizei griff nach Augenzeugenberichten zuerst nicht ein. Später setzten die Beamten Tränengas ein und feuerten in die Menge. Laut Irna wurden mehrere Menschen verhaftet. Die Demonstranten, darunter zahlreiche Studenten, wollten mit der Protestaktion vor der Universität der Erstürmung eines Studentenwohnheimes vor einem Jahr gedenken.Nach dem Schah-Besuch von 1967 wird erstmals seit 33 Jahren ein iranischer Staatschef in Deutschland empfangen. Damals war es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen, in deren Verlauf der Student Benno Ohnesorg erschossen worden war.

Begleitet von strengen Sicherheitsvorkehrungen stehen Gespräche Mohammed Chatamis in Berlin und Weimar auf dem Programm. Da in den vergangen Tagen Exiliraner und Menschenrechtsgruppen Proteste ankündigten, wird mit Krawallen gerechnet. Bereits am Sonntag war einigen iranischen Staatsbürgern die Einreise nach Deutschland verweigert worden, da - so das Innenministerium - nicht auszuschließen sei, dass sie sich an "massiven Störaktionen" beteiligen.

Auch im Bundestag ist der Besuch umstritten: 175 Abgeordnete aller Fraktionen hatten sich an einer Unterschriftenaktion beteiligt, mit der unter Verweis auf Folter und Menschenrechtsverletzungen im Iran die Ausladung Chatamis befürwortet worden war.

In den Streit um den Deutschlandbesuch Chatamis hat sich jetzt auch der Verfassungsschutz eingeschaltet. Das Kölner Bundesamt reagierte nach einem Bericht der "Welt am Sonntag" mit Unverständnis auf den gemeinsamen Protest von 175 Bundestagsabgeordneten und des so genannten Nationalen Widerstandsrats Irans (NWRI). "Es ist immer wieder irritierend, wie wenig bekannt ist, dass der NWRI wie auch die dahinter stehende Organisation der Volksmudschaheddin schon seit vielen Jahren wegen ihrer Militanz ein Thema für die deutschen Verfassungsschutzbehörden sind", sagte eine Sprecherin des Bundesamts für Verfassungsschutz. AP/ddp