Tagesspiegel, 10.7.2000

Skepsis im Exil

Immer noch Folter und Verfolgung

Rebecca Hillauer

Seitdem Mohammed Chatami im Mai 1997 zum Staatspräsidenten gewählt wurde, galt er als Hoffnungsträger für ein demokratisches, säkulares Regierungssystem im Iran. Die Zensur ist seither etwas gelockert worden, doch die Mordserie an oppositionellen Schriftstellern im Winter 1998 und das blutige Niederschlagen der Studentenproteste im letzten Sommer haben das Vertrauen in den Willen wie auch die Fähigkeit Chatamis erschüttert.

Die Autorin und Soziologin Monireh Baradaran, die neun Jahre lang unter Khomeini inhaftiert war und heute in Deutschland im Exil lebt, nennt die achtziger Jahre die "schwärzeste Periode in der jüngeren Geschichte des Iran". Seither habe sich wenig verändert. Politische Häftlinge gab es offiziell nicht, nur "Heiden und Heuchler". Die sollten umerzogen werden.
Sie wurden zu ideologischen Schaudebatten gezwungen, bei denen sie ihre "Verbrechen" bekennen und ihren früheren Überzeugungen abschwören mussten. Diese Interviews wurden per Videokamera im iranischen Fernsehen und in Gefängnissen ausgestrahlt.

"Nackt geschlagen"

Aussagen von Flüchtlingen und Zeitungsberichte belegen, dass all das nicht Vergangenheit ist. Nach den Studentenunruhen im Juli 1999 zeigte das staatliche Fernsehen verhaftete Studenten, die sich selbst denunzieren mussten. Mit deprimierter Stimme und blassem Gesicht hätten sie gestanden, dass sie vom Ausland finanziell unterstützt wurden. Die Exil-Zeitung "Kar" berichtete, wie in Täbris, einer Stadt im Nordwesten des Iran, Hisbollah-Milizen 180 Studenten - meist Frauen - in ihre Gewalt gebracht hätten: "Nackt wurden sie mit Wasserschläuchen geschlagen. Man hat sie mit Bussen in die Stadt gefahren. Dann hat man sie nackt auf der Straße freigelassen. "

Noch heute sind viele Aktivisten der Studentenbewegung inhaftiert. Drei von ihnen sind zum Tode verurteilt worden. Besonders politische Häftlinge werden in so genannten "Chanahaje Amn" (sicheren Häusern) eingesperrt, wo sie verhört, gefoltert, zum Tode verurteilt und eliminiert werden, ohne dass die Außenwelt davon erfährt. Monireh Baradaran ist überzeugt, dass die wenigen Veränderungen seit Chatamis Amtsantritt "auf den Druck der Straße" zurückzuführen sind. Doch noch immer würden Schriftsteller und Journalisten verhaftet, Frauen wegen "Ehebruchs" gesteinigt und Menschen wegen ihrer Religion verfolgt und hingerichtet.

Die Anhänger der Baha'i-Religion, der größten nicht-islamischen Religionsgemeinschaft des Landes, dürfen weder an Universitäten lernen und lehren noch im öffentlichen Dienst arbeiten. In mehreren Städten wurden Hunderte von Häusern geplündert, Bücher beschlagnahmt und 38 Baha'i-Lehrer inhaftiert. Nach Angaben von Amnesty International sind seit Anfang der neunziger Jahre zwischen 80 und 110 Personen aus den Reihen der Intellektuellen und Oppositionellen im Iran und Ausland ermordet worden.