Financial Times Deutschland, 10.7.2000

Besuch Chatamis lässt Nervosität in Berlin steigen

Von Silke Mertins, Berlin

Mit großer Nervosität sieht die Bundesregierung der heute beginnenden Deutschlandreise des iranischen Präsidenten Mohammed Chatami entgegen. Nicht nur die angekündigten Proteste von Exil-Iranern bereiten den Sicherheitsbehörden Kopfschmerzen.

Auch zu Hause steht Chatami unter erheblichem Druck von Konservativen und radikalen Reformern. Während der Demonstrationen zum Jahrestag der blutigsten Studentenunruhen am Samstag in Teheran richteten die Studenten zum ersten Mal auch Warnungen an den iranischen Präsidenten. "Chatami hat uns nach den Verhaftungen, Folterungen und Todesurteilen nicht nur allein gelassen, sondern mit seinem Schweigen sogar dazu beigetragen, dass die Aggressionen gegen uns hemmungslos geworden sind", sagt Gholam-Resa Mohadscheri Nedschad, einer der drei wichtigsten Studentenführer, gegenüber der Financial Times Deutschland. Wenn Chatami die Reformen blocke, werde es "andere Wege gegen", so der vor drei Wochen nach Deutschland geflüchtete 28-Jährige.

Die Berlin-Reise Chatamis, die erste eines iranischen Staatsoberhauptes seit der des Schahs 1967, ist einer der schwierigsten Staatsbesuche der letzten Jahre. Die Bundesregierung will mit der Einladung Chatamis die Reformer in Iran stärken und die sachte Wiederannäherung des Westens an das seit der islamischen Revolution isolierte Land unterstützen. Doch sowohl die Konservativen um den geistigen Führer Ajatollah Chomenei als auch die Volksmudschaheddin - eine Art iranische PKK - haben daran kein Interesse. Die Mullahs fürchten einen Machtverlust, und die stalinistisch organisierte Mudschaheddin strebt nichts weniger als den Sturz der iranischen Theokratie an.

Seit Tagen kursieren Gerüchte, dass der von Konservativen dominierte Geheimdienst Dutzende seiner Leute nach Berlin schicken will, um die geplanten Proteste der Volksmudschaheddin eskalieren zu lassen. Krawall-Bilder aber würden Chatami zu Hause bei den Konservativen den Vorwurf einhandeln, dem Ansehen Irans zu schaden. Erst im Frühjahr hatten Proteste von Exil-Iranern auf einer Konferenz der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung, die im iranischen Fernsehen gezeigt wurden, zu Festnahmen geführt.

Alle Konferenzteilnehmer wurden nach ihrer Rückkehr verhaftet, drei sind noch immer im Gefängnis, die anderen auf Kaution frei. In einem offenen Brief, der Chatami überreicht werden soll, fordert Stiftungs-Chef Ralf Fücks ihre Freilassung. "Lassen Sie uns weiterhin hoffen, dass die von ihnen öffentlich erklärten Ziele Wirklichkeit werden."

Trotz der drohenden Anti-Chatami-Proteste in Berlin hat die Bundesregierung nach eigenen Angaben "keine Indizien" für eine kurzfristige Absage, auch wenn der Besuch letztlich erst sicher ist, wenn der Präsident aus Teheran abgeflogen ist. Um Chatamis Sicherheit zu gewährleisten, herrscht Sicherheitsstufe eins; der Präsident wird nur im Hubschrauber von Termin zu Termin fliegen. Das Schengener Abkommen ist für die Dauer des Besuchs außer Kraft gesetzt, um die Einreise von Exil-Iranern zu verhindern.

"Das politische Umfeld ist nicht einfach", so die Bundesregierung auch mit Blick auf die 175 Bundestagsabgeordneten, die eine Stellungnahme der Volksmudschaheddin gegen den Chatami-Besuch wegen der wachsenden Menschenrechtsverletzungen unterschrieben hatten.

Dabei sei Deutschland "am unteren Ende des Mainstreams" - in Paris und Rom war Chatami bereits. "Bei uns hat es wegen des Falls Helmut Hofer etwas länger gedauert." Zudem sei es unsinnig, davon auszugehen, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer heikle Themen aussparen würden, hieß es aus dem Kanzleramt; Menschenrechte, Rüstungskontrolle und Terrorismus würden selbstverständlich "mit der notwendigen Behutsamkeit" und mit Rücksicht auf Chatamis innenpolitischen Schwierigkeiten angesprochen.

Studentenführer Mohadscheri Nedschad fordert von der deutschen Regierung, etwaige finanzielle und wirtschaftliche Unterstützung für Iran an die Einhaltung der Menschenrechte zu knüpfen. Wie sinnvoll wirtschaftliche Zusammenarbeit sei, hinge von der Auswahl der Projekte ab. "Isolation nützt im 21. Jahrhundert niemandem", sagte Nedschad.

Die Proteste der Volksmudschaheddin, die von Irak aus auch mit Waffengewalt operiert, lehnt der Studentenführer allerdings vehement ab. "Wenn sie die Macht übernehmen würden, wären wir noch schlimmer dran als mit dem jetzigen Herrschaftssystem."

Die knapp 500 Abgeordneten des Bundestages und der Landtage, die den Aufruf gegen den Chatami-Besuch unterschrieben haben, geraten zunehmend in die Kritik. Fachleute der Fraktionen und der Verfassungsschutz werfen ihnen vor, ohne Sachkenntnis unterschrieben zu haben.