Freitag, 7.7.2000

Chatami in Weimar

DEUTSCH-IRANISCHE BEZIEHUNGEN

Mit Hafiz und Goethe vom "kritischen" zum "offenen" Dialog?

Torsten Wöhlert

Der kritische Dialog mit Iran ist nicht nur gescheitert, sondern hat darüber hinaus "eine Stärkung des Mullah-Regimes erwirkt" Gilt diese Einschätzung Joseph Fischers vom September 1998 noch, wenn die Bundesregierung am kommenden Montag Irans Staatspräsidenten Sejjed Mohammad Chatami empfängt? Oder war sie schon damals falsch? Der Besuch wird die Geister - vor allem in der iranischen Exil-Gemeinde - erneut scheiden. Für die einen ist Chatami der Repräsentant eines repressiven Mullah-Regimes, das sich seit 1979 permanenter Menschenrechtsverletzungen schuldig macht. Andere sehen in ihm eine Art Ajatollah Gorbatschow, einen hoffnungsvollen islamischen Reformer, der Iran aus der selbstverschuldeten Isolation führen wird. Beide Standpunkte - so unvereinbar sie scheinen - spiegeln Wirklichkeit und haben daher ihre Berechtigung. Der grundsätzliche Charakter des islamischen Herrschaftssystems blieb auch unter Mohammad Chatami bestehen. Nach wie vor hält die politische Elite Teherans am Erbe des Staatsgründers Ajatollah Chomeini fest, dessen Prinzip des Welajat-e Faghi den Führungsanspruch islamischer Rechtsgelehrter in Staat und Gesellschaft festschreibt. Konservative Hardliner um den obersten Führer des Landes, Ajatollah Chamene'i, beherrschen den repressiven Machtapparat des Landes. Militär, Polizei, Revolutionsgarden, Geheimdienste und die Judikative sind fest in ihrer Hand - und werden rigoros eingesetzt, wie Repressalien und Morde an Intellektuellen oder die blutige Niederschlagung der Studentenbewegung im vergangenen Sommer gezeigt haben. Und doch sind die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse Irans in den letzten Jahren in Bewegung geraten. Das Klima im Land wurde offener und liberaler, nachdem Chatami 1998 sein Amt antrat und die Reformer bei den Parlamentswahlen in diesem Jahr einen klaren Sieg errangen. Durchgreifende Veränderungen in Politik und Wirtschaft finden jedoch aufgrund der machtpolitischen Pattsituation in Teheran nicht statt. Gleichzeitig steigt der Erwartungsdruck, vor allem bei der Jugend des Landes, die bei den von ihnen unterstützten Reformern neben größerer individueller Freiheit vor allem eine Verbesserung ihrer sozialen und wirtschaftlichen Perspektiven einklagt. Wie reformfähig aber ist die Islamische Republik? Das politische System hat in den vergangenen zwei Dekaden enorme Anpassungskraft bewiesen. Äußerer Druck, Isolation oder Selbstisolation spielten dabei in aller Regel konservativen Hardlinern in die Hände. Und: an einen Sturz des Regimes von innen oder außen ist auf absehbare Zeit nicht zu denken. All das spricht für einen Dialog mit Teheran. Fraglich bleibt, worin sich dieser von dem "kritischen " der Vergangenheit unterscheiden soll? Schröder und Fischer wollen den Besuch Chatamis als Geste zu einem "neuen und offenen Dialog" zwischen beiden Ländern und Kulturen verstanden wissen. Doch der iranische Präsident fährt nicht nur nach Weimar, um dort ein Denkmal des persischen Nationaldichters Hafiz zu enthüllen, dem sich der deutsche Nationaldichter Goethe in seinem "West-Östlichen Diwan" einst seelenverwandt fühlte. Chatami wird auch bei der deutschen Wirtschaft vorstellig werden, um dort für dringend benötigte Investitionen zu werben, nach Möglichkeit abgesichert durch Hermes-Bürgschaften der Kreditanstalt für Wiederaufbau. All das soll helfen, den Reformern im eigenen Land Luft zu verschaffen. Nur: Luft wozu? Die iranische Wirtschaft befindet sich seit Monaten im Aufwärtstrend. Das Haushaltsdefizit geht gegen Null, und die Auslandsverschuldung konnte in den letzten Monaten um ein Viertel auf verträglich 10 Milliarden Dollar reduziert werden. Der Grund für diese positive Entwicklung ist jedoch nahezu ausschließlich bei den seit März sprunghaft gestiegenen Ölpreisen zu suchen. Achtzig Prozent der iranischen Exporte und rund die Hälfte aller Staatseinnahmen Teherans hängen immer noch vom Verkauf des Schwarzen Goldes ab. Fallen die Erträge niedriger als erwartet aus, geht die Wirtschaft in die Knie. So geschehen vor zwei Jahren, als das Wirtschaftswachstum auf klägliche 1,6 Prozent absackte. Derzeit werden 4,5 Prozent erwartet. Um spürbare Effekte auf dem Arbeitsmarkt zu erzielen, wären jedoch stabile Raten von sechs Prozent erforderlich. Daran aber ist, selbst unter optimalen Ölpreisbedingungen, nicht zu denken. Der von Chatami präsentierte und seit März gültige Fünfjahrplan (2000-2004) sieht daher - zumindest auf dem Papier - einschneidende Veränderungen in der iranischen Wirtschaftsstruktur vor. Die folgen dem neoliberalen Trend der Zeit, der da heißt: Streichung von Subventionen (vor allem im Energiesektor), Privatisierung, Rückzug des Staates aus dem Banken- und Versicherungswesen und ein Ende des staatlichen Monopols in den Bereichen Transport, Verkehr und Telekommunikation. Weil dieser Kurs verheerende Wirkung auf die Einkommenslage der unteren Schichten und die ohnehin prekäre Beschäftigungssituation haben wird, sperrt sich vor allem die islamische Linke innerhalb der Chatami-Koalition gegen eine solche nachhaltige Schwächung des staatlichen Sektors. Bricht die informelle Koalition darüber auseinander, kann der Präsident auch seine politischen Reformpläne auf Eis legen. Er wäre gescheitert. Die Frage ist also nicht, ob es einen Dialog mit der Teheraner Führung geben darf, sondern welcher Art die Gespräche sind und mit welchem Ziel sie geführt werden. Folgt die rot-grüne Iranpolitik den alten Prioritäten einer mit Menschenrechtsrhetorik und Entwicklungshilfe versetzten Außenwirtschaftsförderung, bliebe die Umetikettierung des Dialoges von "kritisch" zu "offen" reiner Euphemismus.