Frankfurter Rundschau, 8.7.2000

Der Besuch des Schahs und der Tod in Berlin

Erinnerungen an einen dynastischen Selbstherrscher, eine Krise der Republik und einige Lernprozesse

Von Karl Grobe

Der iranische Schah hatte eben in der Deutschen Oper Platz genommen. "Zauberflöte". Draußen schlug die Berliner Polizei auf Demonstranten ein, trieb sie vor sich her durch die Stadt. "Bitte nicht schießen!". Dann schoss der Polizist Karl Heinz Kurras. Zunächst, in Bedrängnis und zur Warnung, in die Luft, 22 Sekunden später auf einen Menschen. Der Student Benno Ohnesorg war tot. Berlin, Freitagabend, 2. Juni 1967.

Es war Notwehr, sagte Kurras. Benno Ohnesorgs Tod gehe "auf das Konto einiger Demonstranten", kommentierte Berlins Regierender Bürgermeister, Heinrich Albertz. Die Polizei habe sich "bis zum Äußersten" zurückgehalten, aber "die Geduld der Stadt ist am Ende". Der Bürgermeister kannte da nur die Darstellung der tatbeteiligten Berliner Polizei. Deren Chef, Polizeipräsident Erich Duensing, hatte Härte befohlen sowie die Anwendung der "Leberwurst-Taktik": "In die Mitte reinstechen und nach beiden Seiten ausdrücken".

Auf wen die Falschmeldung in jener Nacht zurückging, ein Polizist sei von Studenten erstochen worden, war da nicht zu ermitteln; sie wurde, Stunden nach dem tödlichen Polizeischuss auf Benno Ohnesorg, in der Nähe des Tatorts, am Kurfürstendamm, über Polizeilautsprecher verbreitet. Zusammen mit dem Aufruf, man solle sich in Sicherheit bringen. Vor den Studenten, selbstverständlich.

In jener Nacht hat das begonnen, was die Deutschen später als die "68er-Bewegung" zu bezeichnen lernten, die Entfremdung der Studenten - nicht nur der Studenten - von der Staatsgewalt. Die Bundesrepublik war endgültig nicht mehr, was sie bis 1963 gewesen war: die Adenauer-Republik, wirtschaftswunderfroh, politisch ziemlich still, restaurativ und im Grunde autoritätsgläubig. Das Wort lernten die Deutschen nun: "Establishment". Es war ein Schimpfwort, damals.

Der Besuch des persischen Monarchen - mit vollem Namen und allen selbst gewählten Titeln: Schahinschah Mohammed Reza Pahlevi Aryamehr - hat das nicht verursacht. Er war freilich der Katalysator. Zufällig war das nicht so gekommen. Die Deutschen hatten mit dem gekrönten Helden der Regenbogenpresse einige Erfahrungen schon vorher sammeln können.

Zum Beispiel 1953. Damals rettete der Geheimdienst der USA, CIA, dem Dynasten den Pfauenthron und die Macht im Staate, gegen den gewählten Regierungschef Mohammed Mossadek. Der hatte sich erdreistet, das iranische Erdöl zu verstaatlichen, deshalb wurde er gestürzt. Die einschlägigen CIA-Dokumente hat die New York Times jetzt - im Jahre 2000 - zugänglich gemacht. Unbekannt waren die Umstände freilich auch 1953 nicht; wer auf sie hinwies, geriet damals in den Verdacht des Anti-Amerikanismus und, was ziemlich dasselbe war, des Kryptokommunismus.

Zum Beispiel 1958. Da hatte der stern ohne den von der Regenbogenpresse vorgegebenen Respekt vor Gekrönten abschätzig über des Schahs Scheidung von Soraya berichtet. Die Perser-Botschaft wurde vorstellig und verlangte strafrechtliche Verfolgung. Das Kabinett Adenauer leitete ein "5. Strafrechtsänderungsgesetz" auf den Instanzenweg. Es kam so nicht zu Stande. Doch die Deutschen lernten schon mal das Wort: Lex Soraya.

Zum Beispiel 1963. Da wurden iranische Studenten in Haft gemaßregelt, weil sie sich kritisch über die Zustände in ihrem Lande geäußert hatten - in Flugblättern, verteilt an deutschen Universitäten. Heinrich Lübke aber, Bundespräsident, feierte in Teheran die Freundschaft, über welche der dortige Selbstherrscher, der bewunderte Pragmatiker, tags darauf sagte: "Wir schließen Freundschaft, wenn es uns nützlich ist." Die Deutschen lernten erst einmal - nichts.

Dann 1967. Bevor Majestät noch geruht hatten, auf deutschem Boden aus dem Flugzeug zu steigen, waren zwei Hundertschaften ergebener Anhänger eingereist mit dem Auftrag, Staffage zu bilden und Majestät zu feiern. Die Deutschen lernten das Wort: Jubelperser. Und weil sie nicht alle mit jubeln wollten, auch dessen sich sachlich aus dem Verhalten der Jubelperser ergebende notwendige Ergänzung: Prügelperser.

Sie erfuhren aus berufenem - weil dem Bundespressesprecher von Hase gehörendem - Munde, dass sie auch als Demonstranten "ein Mindestmaß an Würde und Vernunft" gefälligst einzuhalten haben. Was widrigenfalls geschehen werde, hatte auch einen Namen, den der große Studentenverband SDS fand: Notstandsübung. Das aber gehört eher in ein Kapitel der Geschichte von 1968, das nicht mit Gästen aus Iran zu tun hat.

Von denen gab es ein Regime später, als längst die Revolution von 1978 den Schah vertrieben hatte und ihrerseits von Ayatollah Ruhollah Khomeiny gekapert worden war, eine ganz andere Kategorie. Ihr Auftritt: Berlin, 17. September 1992, abends. Zwei Attentäter erschossen vier iranische Oppositionelle, darunter den Vorsitzenden der Demokratischen Partei Kurdistans, Sadegh Scharafkandi. Die Deutschen lernten das Wort: Mykonos. So hieß das Lokal, in dem der vierfache Mord geschah; nach ihm wurde später der Prozess genannt, der die Mittäterschaft des Geheimdienstes der Islamischen Republik Iran nachwies.

Danach haben die Deutschen aus jener Weltgegend eigentlich keine neuen Erkenntnisse mehr bezogen. Dass der iranische Staat sich mit der Unabhängigkeit der hiesigen Justiz nicht abfinden konnte, war ja nicht neu; das war schon in jenem Sommer 1967 so, als der Schah nach Deutschland kam.
Neu ist nicht, dass nach dem, was einige für die Schamfrist in der Folge solch misslicher Ereignisse wie der Verurteilung der Mykonos-Attentäter halten, das Geschäft wie üblich läuft. Wer Erdöl hat, kann Freundschaft schließen, wenn es ihm nützlich ist.

Und wieder werden Sicherheitsmaßnahmen unvergleichlichen Ausmaßes nötig, um den öligen Freund zu schützen. Hat sich nichts geändert? Doch. Diesmal kommt nicht ein Kaiser. Der Titel ist in unseren Landen längst vom Fußball okkupiert worden. Der hohe Gast führt vielmehr die Berufsbezeichnung Präsident. Er vertritt ein politisches System. Und das bestimmt, was er tun kann.