Badische Zeitung, 8.7.2000

BZ-Interview mit dem Orientexperten Steinbach

"Wir müssen Khatami unterstützen"

FREIBURG. Zahlreiche Bundestagsabgeordnete wollen den reformorientierten iranischen Präsidenten Khatami von seinem Staatsbesuch in Berlin ausladen. Geltend machen sie dabei die Menschenrechtsverletzungen im Iran. Über die deutsche Iranpolitik sprach Annemarie Rösch mit Udo Steinbach, dem Leiter des Deutschen Orientinstituts in Hamburg.

BZ: Welche Konsequenzen hätte es für die iranische Reformbewegung, wenn ihr Vorreiter Khatami ausgeladen werden würde?

Steinbach: Es wäre geradezu töricht, Khatami auszuladen, mit dem Argument, dass im Iran die Menschenrechte verletzt werden. Schließlich ist es Khatami gewesen, der im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen von 1997 Menschenrechte, Pluralität und Rechtsstaatlichkeit zu seinem Slogan gemacht hat. Wir müssen ihn unterstützen. Eine Ausladung würde ihn desavouieren und wäre ein herber Schlag für die Reformer.

BZ: Tatsache ist aber, dass er, obwohl Reformer, doch Repräsentant eines Systems ist, das sich zahlreicher Menschenrechtsverletzungen schuldig macht.

Steinbach: Natürlich muss er bei seinem Staatsbesuch auf Menschenrechtsverletzungen angesprochen werden. Die Urteile gegen zehn iranische Juden, die der Spionage bezichtigt werden, sollten dazugehören. Wobei man sagen muss: Es gab keine Todesurteile. Das zeigt, dass im Iran einiges in Bewegung ist. Das neue Parlament, das sich überwiegend aus Reformern zusammensetzt, hat sich zum Ziel gemacht, mehr Rechtsstaatlichkeit durchzusetzen, das Justizwesen transparenter zu machen.

BZ: Die religiösen Hardliner scheinen aber die Oberhand zu haben. Zeitungsverbote sprechen dafür. Was werden die dazu sagen, wenn sich Khatami von deutschen Politikern rügen lassen muss?

Steinbach: Die Politiker müssen beim Thema Menschenrechte ja nicht unbedingt laut auf die Pauke hauen. Das würde in der Tat den Konservativen in die Hände spielen, die dann sagen könnten: Du bist eine Marionette des Westens, warum reist du zu denen, die das islamische System ablehnen? Die deutsche Politik muss einen Mittelweg finden.

BZ: Unter Außenminister Kinkel gab es das Konzept des kritischen Dialogs, die Regierung wollte mit dem Regime im Gespräch bleiben, gleichzeitig aber auf eine Verbesserung der Menschenrechte hinweisen. Wie muss künftig Politik aussehen?

Steinbach: Heute steht ein Reformer an der Staatsspitze, und auch das Parlament setzt sich überwiegend aus Reformern zusammen. Die Ausgangslage ist also eine andere. Damals waren Kontakte in den Iran nur über die Ebene der Regierungspolitik möglich. Heute muss die Politik nicht mehr überall dabei sein. Dank der Öffnung gibt es heute Kontakte auf der Ebene zahlreicher gesellschaftlicher Institutionen. Städte sind im Gespräch miteinander. Deutsche Theatergruppen treten im Iran auf, iranische Schriftsteller kommen zu uns. Wir brauchen also nicht mehr ein Konzept wie unter Kinkel.

BZ: Allerdings wurden Reformer, die an einer Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin teilgenommen hatten, verhaftet. Das spricht doch gegen eine Verbesserung.

Steinbach: Die Geschichte ist so schrecklich danebengegangen, weil die extreme iranische Linke und die Volksmudschaheddin die Veranstaltung als Forum ihres Protests gegen das Regime missbrauchten. Trotz aller positiven Zeichen für eine Öffnung sind natürlich die Konservativen nach wie vor stark. Deshalb ist es beim Besuch Khatamis wichtig, dass zwar Protest gegen das Regime geäußert werden kann. Dies darf aber den Besuch als solchen nicht gefährden und den für beide Seiten wichtigen Kanal der Gespräche und Kommunikation verschütten.