junge Welt, 08.07.2000

Interview

Kann Kultur gesetzlich verboten werden?

junge Welt sprach mit der Theatergruppe Jiyana Nu

* Jiyana Nu ist eine kurdische Theatergruppe aus Istanbul. Yildiz Gültekin, Murat Batgi und Erdal Ceviz beginnen am Montag eine Tournee in Deutschland

F: Ist kurdische Kultur in der Türkei verboten?

Murat Batgi: Es erscheinen sowohl Bücher als auch Zeitschriften und Musikkassetten in kurdischer Sprache. Mal sind sie in Buchhandlungen erhältlich, ein anderes Mal werden sie beschlagnahmt. Oberstes Prinzip der türkischen Verfassung ist, daß jeder, der in der Türkei lebt, auch Türke ist. Davon wird abgeleitet, daß folglich jeder auch Türkisch zu sprechen
hat. Damit werden die Sanktionen begründet. Es gibt jedoch keinen Paragraphen im türkischen Gesetz, der dies eindeutig regelt, entsprechend uneinheitlich ist die Praxis der Behörden. Nur eines, das ist immer verboten: kurdisches Theater.

F: Was heißt das für Ihre praktische Arbeit?

Murat Batgi: Alle Mitglieder unserer Gruppe waren mehrfach inhaftiert. Manche von uns schon so häufig, daß sie es gar nicht mehr zählen können. Beispielsweise hatten wir im Dezember 1997 einen Auftritt in Mersin vor einem Publikum von etwa 300 Leuten. Sicherheitskräfte stürmten die Bühne und nahmen uns in unseren Kostümen fest. Als wir am anderen Tag dem Haftrichter vorgeführt wurden, wunderte der sich über unseren Aufzug. Wir wurden aufgefordert, den Inhalt des Stückes auf Türkisch zu übersetzen. Das haben
wir verweigert. Obwohl sie kein Wort von dem verstanden hatten, was auf der Bühne vor sich ging, hatten sie uns alle verhaftet. Der Richter ließ uns am anderen Tag laufen. Bis auf zwei von uns, die 40 Tage inhaftiert blieben.

Yildiz Gültekin: Die Repressionen gehören für uns genauso zum Alltag wie Theater spielen. Wir werden nicht nur ständig festgenommen, auch Menschen, die mit uns zu tun haben, werden bedroht. Busfahrer, Hotelbesitzer oder diejenigen, die uns Veranstaltungsräume zur Verfügung stellen. Bei jedem Auftritt wissen wir nicht, ob wir anschließend wieder nach Hause kommen oder im Gefängnis landen."

F: Wie lange existiert Jiyana Nu schon?

Yildiz Gültekin: 1991 gründeten kurdische Künstlerinnen und Intellektuelle das Mesopotamische Kulturzentrum (MKM) in Istanbul. Sowohl als Begegnungsstätte als auch als künstlerischen Experimentierraum. Jiyana Nu ist kurz darauf entstanden. Als wir damals anfingen, hatte niemand von uns Theatererfahrung. Es gab keinerlei Vorstellung darüber, was kurdisches Theater überhaupt sein könnte. Inzwischen bilden wir sogar Nachwuchs aus. Neben Kulturarbeit bieten wir beispielsweise Alphabetisierungskurse und Familienarbeit - von Handarbeitskursen bis Sozialberatung- an. All diese Aktivitäten sind dem türkischen Staat ein Dorn im Auge. Erdal Ceviz: Sie können unsere Räume versiegeln. Aber das sind deren Siegel. Damit können sie unsere Arbeit nicht verbieten. Wir versuchen, Menschen zu begegnen und unsere Werte zu vermitteln. Manchmal ist es ein Lied, manchmal eine Satire, manchmal die Mimik und die Gestik oder einfach nur ein Blick. Das läßt sich doch in keinen gesetzlichen Rahmen pressen. Kein Gesetz kann die Kunst verbieten.

Interview: Birgit Gärtner