Neue Westfälische, 05.07.2000

"Ein Leben voller Angst"

In ihren Heimatländern erwartet die Familien Mamedov und Sadychov der Tod

VON NICOLE BLIESENER

Löhne. Schöwgi Sadychov bewohnt mit seiner Frau und seinem dreijährigen Sohn ein etwa 20 Quadratmeter großes Zimmer in der Unterkunft an der Hahnenstraße in Gohfeld. Vor einem Jahr flüchtete der 26-Jährige mit seiner Familie aus Aserbaidschan nach Deutschland, um in der Bundesrepublik um Asyl zu bitten. Auch Surik Mamedov (32) aus Armenien hofft für sich und seine Familie auf eine Zukunft in Deutschland. Die ersten Anträge der beiden Familien wurden abgelehnt, jetzt befinden sie sich im Widerspruchsverfahren.

Über das Schicksal der Familie Sadychov entscheidet am 18. Juli das Verwaltungsgericht in Minden. Die Familie Mamedov wartet noch auf einen Termin.

Die beiden Männer erzählen ihre Geschichte. Als Dolmetscherin fungiert dabei Sozialarbeiterin Gül Cok. Die türkische Kurdin arbeitet im Sozialamt der Stadt Löhne und betreut die Flüchtlinge. Sie verständigt sich auf türkisch und kurdisch mit den beiden Münnern. Und der Aserbaidschaner Schöwgi Sadychov redet mit dem Armenier Surik Mamedov russisch.

In diesem Sprachenmix berichtet Schöwgi Sadychov aus seiner Heimat. Er musste Aserbaidschan aus politischen Gründen verlassen. Seit 1996 war Sadychov Mitglied der Aserbaidschanischen demokratischen Partei (ADP) und später stellvertretender Vorsitzender der Jugendorganisation. Viele Mitglieder der Partei seien im Gefängnis, der Vorsitzende der ADP ist in die USA geflohen, erzählt der 26-jährige.

Er spricht lange und mit leiser Stimme, der 26-jährige wirkt angespannt. Irgendwann unterbricht ihn Gül Cok, um zu übersetzen. Er habe Informationen über verfolgte, verhaftete oder ermordete Menschen besorgt und diese verbreitet.

Regierungepartei begann "Wahlbetrug"

Der Regierungspartei Aserbaidschans wirft er Wahlbetrug vor. Er selbst habe in einem Dorf beobachtet, wie auf Befehl der Regierung die Pässe der Bewohner eingesammelt wurden und Helfer der Regierungspartei unter falschem Namen ihre Partei gewählt haben. Hieb- und Stichfest beweisen kann Söwgi Sadychov die Vorwürfe nicht.

Auch kann er nicht nachweisen, dass ihn in Aserbaidschan aufgrund seiner Tätigkeit in der Opposition eine Gefängnisstrafe von 14 Jahren bis lebenslänglich erwartet.

"Sie werden mich foltern, bis ich alles was sie wollen, akzeptiere", übersetzt Gül Cok Sadychovs Angst vor der Rückkehr.

Bevor ihm die Flucht per Flugzeug gelang, war Söwgi Sadychov inhaftiert. Sein Schwiegervater hat ihn für 20.000 US-Dollar freigekauft. Weitere 10.000 Dollar zahlte Sadychov einem Schlepper für Tickets, Visa und Pässe. Belegen kann er den Gefängnisaufenthalt nicht.

Überdurchschnittliches Einkommen in Aserbaidschan

Die Familie kam auf dem Frankfurter Flughafen mit nur zwei Sporttaschen an.

Schöwgi Sadychov gehörte mit seiner Familie zu den wohlhabenden des Landes. Der studierte Ingenieur für Umwelttechnik verfügte über ein überdurchschnittliches Einkommen. 1.400 Mark hatte die Sadychovs umgerechnet im Monat zur Verfügung. "Ein Brot kostet etwa 0,50 Mark", übersetzt Gül Cok. Die Familie besaß in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku eine Eigentumswohnung. Miete für eine entsprechende 3-Zimmer-Wohnung hätte umgerechnet 120 Mark gekostet.

Ihr Auto und das, was von ihrem Eigentum noch übrig war, haben sie zurückgelassen.

In Deutschland leben die Sadychovs nun in einem Zimmer. Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhält die Familie 1.025 Mark nach Abzug der Stromkosten. Die Miete für die Unterkunft zahlt das Sozialamt gleich an die Stadt. 100 Mark zahlt die Familie monatlich an ihren Anwalt.

Kleiner Spaziergang macht Verstoß gegen Auflagen möglich

Unter dem Strich bleiben 925 Mark für eine dreiköpfige Familie. Arbeiten darf Schöwgi Sadychov als Asylbewerber nicht und er darf auch den Regierungsbezirk Detmold nicht verlassen.

Die armenische Familie Mamedov darf sogar den Kreis Herford nicht verlassen. Und das ist problematisch, denn die Unterkunft an der Hahnenstraße liegt an der Stadtgrenze zu Bad Oeynhausen und damit dem Kreis Minden-Lübbecke. Selbst ein kleiner Spaziergang "um den Block" könnte den 32-jährigen in Schwierigkeiten bringen.

Surik Mamedov ist mit seiner Frau und seinen drei Kindern vor anderthalb Jahren nach Löhne gekommen.

Die Familie gehört zu der Minderheit der yesidischen Kurden, die gerade einmal zwei Prozent der armenischen Bevölkerung ausmachen. (Yesidi ist eine Naturreligion, die Urreligion der Kurden).

Mehr als zehn Jahre lang gab es eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen Aserbaidschan und Armenien um die Nagorno-Karabakh-Region. In diesen Krieg wollten die Armenier auch die Yesidi zwingen, die kurdische Minderheit sollte an vorderster front kämpfen. Seine Eltern hätten den Militärs immer wieder Geld gegeben.

"Die Yesidi wurden gefoltert und zum Kampf gezwungen worden", übersetzt Gül Cok. Seinen Militärdienst hatte Surik Mamedor von 1988 bis 1990 in der sowjetischen Armee geleistet.

Lebensbedrohliche Situation kaum zu beweisen

Nach der Unabhängigkeit Armeniens kam die armenische Miliz immer wieder zu ihm. "Kein Yesidi aus meinen Dorf ist aus dem Krieg wieder zurückgekommen", übersetzt Gül Cok die Schilderungen des Kurden.

Beweisen kann auch Surik Mamedov die lebensbedrohliche Situation nicht. Seine erster Asylantrag wurde mit der Begründung abgelehnt, er würde in Armenien von Privatpersonen verfolgt und nicht vom Staat.