Die Welt, 04.07.2000

"Deutschland darf nicht länger ein Land unkontrollierter Zuwanderung sein"

Stammtischparolen gehören der Vergangenheit an - Die Grundzüge einer vernünftigen Politik sind längst abgesteckt, aber drohen jetzt wieder zerredet zu werden Brennpunkt: Einwanderung

Von Hartmut Koschyk

Bei der öffentlichen Erörterung des Zuwanderungsproblems findet über die Grenzen der politischen Parteien hinweg eine Normalisierung statt, wie dies bereits bei Fragen des Auslandseinsatzes der Bundeswehr und in der Europapolitik der Fall war. Die Aufgeregtheiten gehören der Vergangenheit an. Aber diese Normalisierung droht zerredet, vertagt und in Kommissionen zerrupft zu werden.

Mutig und für Sozialdemokraten ungewöhnlich war die Forderung des Bundesinnenministers, Zuwanderung zu ermöglichen, "die unseren Interessen entspricht", und Zuwanderung zu verhindern, "die unseren Interessen zuwiderläuft". Man müsse unterscheiden zwischen "Zuwanderung, die die Sozialkassen erheblich belastet, und Zuwanderung, die unseren wirtschaftlichen Interessen entspricht". Damit befindet sich Otto Schily auf der Linie des Bayerischen Innenministers Günther Beckstein, der forderte: "Wir brauchen weniger Ausländer, die uns ausnützen, und mehr, die uns nützen."

Diese Aussagen sind keine Stammtischparolen, sondern bezeugen, dass die Grundzüge einer quantitativ und qualitativ vernünftigen Zuwanderungspolitik längst abgesteckt sind. Die Bevölkerungsmehrheit sieht dies so, und die Mehrheiten in den großen Parteien auch. Ausnahmen gibt es auch hier: So hängen die Grünen, Teile der SPD und der FDP immer noch einer globalen Beglückungsstrategie an. Weil die Grundzüge klar sind, bedarf es keiner vor sich hin debattierenden Zuwanderungs-Kommission mehr, womöglich unter dem Vorsitz von Persönlichkeiten, denen der Abschied vom alten Denken in der Zuwanderungspolitik noch schwer fällt.

Wie man in der Zuwanderungsfrage einen parteiübergreifenden Konsens herstellen kann, hat im Sommer 1998 die Initiative des Bayreuther Aufrufes "Für eine Politik der Vernunft - die Zuwanderung gestalten, die Eingliederung verstärken" gezeigt. Der Aufruf wurde mitgetragen von Mitgliedern aller demokratischen Parteien, von CDU und CSU über FDP, SPD bis zu den Grünen. Repräsentanten beider Konfessionen haben sich ebenso daran beteiligt wie ein führender Gewerkschaftsvertreter. Die zentrale Botschaft dieses Aufrufes lautete: "Soll die ebenso notwendige wie wünschenswerte Integration hier lebender, eingliederungswilliger Zuwanderer gelingen, darf Deutschland nicht länger ein Land unkontrollierter und maßstabloser Zuwanderung sein."

Da die Grundzüge einer vernunftorientierten und verantwortungsvollen Zuwanderungspolitik im Grunde bekannt sind, muss jetzt vordringlich geklärt werden, welche konkreten Anforderungen an die Zuwanderer zu stellen sind. In diesem Zusammenhang werden zwangsläufig auch Fragen aufgeworfen, die dem bestehenden Asylrecht gelten. Über das Asylgrundrecht findet trotz der Änderung des Jahres 1993 immer noch eine ungeregelte Zuwanderung statt, wobei nur einem verschwindend geringen Teil der Antragsteller tatsächlich Asyl zuerkannt wird. Es muss daher geprüft werden, ob das individuelle Grundrecht auf Asyl durch eine institutionelle Garantie, wie sie in anderen westlichen Demokratien besteht, abgelöst werden kann. Dabei würde der Staat Asyl nach Maßgabe der Gesetze gewähren.

Auch die Frage der Familienzusammenführung aus Nicht-EU-Ländern muss überdacht werden. Es ist nicht integrationsfördernd, wenn ältere Jugendliche, die etwa in der Türkei aufgewachsen sind, nach ihrer dortigen Sozialisation und Erziehung zu Familienangehörigen nach Deutschland entsandt werden. Viele Ausländer stehen der Kultur ihres Gastlandes völlig interesselos gegenüber. Integrationsbemühungen müssen deshalb vor allem Ansätze bieten, die eine Verankerung der ausländischen Mitbürger in der deutschen Gesellschall und Kultur ermöglichen.

Probleme bei dieser gesellschaftlich-kulturellen Integration bereiten in erster Linie Menschen aus anderen Kulturkreisen wie dem des Islam. Aus diesem Grunde sind etwa Vorschläge des Vorsitzenden der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag, Alois Glück, äußerst hilfreich, der die seit Anfang der achtziger Jahre an bayerischen Schulen stattfindende "lslamische Unterweisung" weiterentwickeln will. Im Dialog aller betroffenen Gruppen sollen nach Vorstellung von Alois Glück die Bedingungen und Voraussetzungen für die Einführung eines deutschsprachigen islamischen Religionsunterrichtes ausgelotet werden. Ein an die verfassungsrechtlich-politischen Bedingungen in Deutschland adaptierter, laizistischer Islamunterricht könnte eine geeignete Brücke für die Integration darstellen.

Vor allem darf in der Integrationsdebatte nicht der Eindruck entstehen, nur die deutsche Seite habe etwas versäumt. Integration ist niemals eine Einbahnstraße. Deshalb muss bei den in Deutschland lebenden Ausländern die Bereitschaft erwartet werden dürfen, die deutsche Sprache zu erlernen. Tabus müssen auf beiden Seiten gebrochen werden. Jetzt gilt aber, das als richtig Erkannte endlich umzusetzen. Folgenloses Konferieren und Diskutieren kann sich unser Land nicht weiter leisten.

Der Autor gehört seit 1990 dem Deutschen Bundestag und dessen Innenausschuss an.