Die Welt, 03.07.2000

"Eine Begrenzung der Zuwanderung aus Nicht-EU-Länder ist unabdingbar"

Dokumentation der Eckpunkte zur Steuerung und Begrenzung der Einwanderung nach Deutschland des bayerischen Innenministers Günther Beckstein

I. Grenzen der Zuwanderung

1. Deutschland ist auf Grund seines hohen sozialen Standards seit Jahren bevorzugtes Ziel von Zuwanderern aus der ganzen Welt. Mit einem Ausländeranteil von neun Prozent der Bevölkerung (einschließlich der Unionsbürger) nimmt es inzwischen einen Spitzenplatz ein. Die Zahl der hier lebenden Ausländer hat sich zwischen 1972 und 1998 mehr als verdoppelt (von 3,6 Mio. auf 7,3 Mio.), die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Ausländer ist dagegen in dieser Zeit gesunken (von 2,3 Mio. auf 2,0 Mio.). In den kommenden Jahren ist vor allem durch die Osterweiterung der EU mit weiterer Zuwanderung insbesondere auf Grund von Arbeitsmigration zu rechnen.

2. Wenn wir die Identität unseres Landes bewahren und die Integrationschancen der rechtmäßig bei uns lebenden Ausländer sichern wollen, ist eine Begrenzung der Zuwanderung aus Nicht-EU-Staaten unabdingbar. (...)

3. Die Grenzen der Zuwanderung zu bestimmen und Zuwanderung zu steuern, ist Aufgabe politischer Entscheidung. Die Grundentscheidungen hat dabei der parlamenterische Gesetzgeber zu treffen. (...)

4. Erst die Reduzierung der nach wie vor hohen ungesteuerten Zuwanderung nach Deutschland schafft Handlungsspielräume für eine im Interesse von Staat und Gesellschaft gelegenen Aufnahme von Ausländern. (...)

II. Weiteres Zurückdrängen des Asylmissbrauchs

5. Nach wie vor werden weniger als 15 Prozent der Antragsteller als Asylberechtigte anerkannt oder erhalten vorübergehenden Abschiebungsschutz. Um den Asylmissbrauch einzuschränken, ist das Grundrecht auf Asyl nach Art. 16a Abs. 1 GG durch eine institutionelle Garantie zu ersetzen. Die Aufnahme wirklich politisch Verfolgter bleibt gewährleistet. (...)

6. Das geltende Recht ist insgesamt mit dem Ziel einer weiteren Beschleunigung des Verfahrens zu noveIlieren. (...)

7. Die Arbeitsaufnahme ist Asylbewerbern jedenfalls bis zur Entscheidung des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge nicht zu gestatten. (...)

8. Der Gesetzesvollzug bei der Abschiebung ist zu straffen durch:

- Zentralisierung der Passbeschaffung, Koordinierung von Botschaftsvorführungen (...);

- Sicherstellung einer ausreichenden Information der Sozialbehörden, um Leistungen nach dem AsylbLG bei Ausreisepflichtigen kürzen zu können, die ihrer Mitwirkungspflicht nicht genügen;

- konsequentere Mitwirkung des Bundes bei der Aufenthaltsbeendigung;

- weitere Tatbestände für die Anordnung derAbschiebehaft.

9. Die im Amsterdamer Vertrag vorgesehene Harmonisierung des Asylrechts auf EU-Ebene darf sich nicht auf Mindeststandards beschränken. (...)

- Das bislang ungenügende Verfahren der Zuständigkeitsverteilung nach dem Dubliner Übereinkommen (zuständig ist der Staat, in den der Asylbewerber zuerst gelangt ist) ist vor allem durch den Abschluss der Arbeiten zu einer unionsweiten Erfassung aIler illegalen Ausländer mittels Fingerabdrücken (Eurodac-Übereinkom-men) zu verbessern.

- Die Sozialleistungen an Asylbewerber sind auf einem einheitlichen europäischen Niveau zu harmonisieren.

- Die Rückführung abgelehnter Asylbewerber ist auf EU-Ebene anzugehen, insbesondere muss die EU an die nicht kooperativen Herkunftsländer herantreten, die Ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung zur Rücknahme eigener Staatsangehöriger nicht nachkommen.

III. Spätaussiedler

10. Die Aufnahme der Spätaussiedler muss sich angesichts der zunehmenden Probleme bei der Eingliederung stärker an dem Aufnahmezweck einer Integration deutscher Volkszugehöriger orientieren. (...)

IV. Familiennachzug

11. Der in Art. 6 GG verbürgte Familiennachzug wird nicht in Frage gestellt. Durch Gesetz muss jedoch der Missbrauch ausgeschlossen und dafür Sorge getragen werden, dass nachziehende Familienangehörige in der Lage und bereit sind, sich zu integrieren.

V. Sozialhilfe

12. Schon jetzt sieht das Ausländergesetz vor (§ 46 Nr 6 AusIG), dass der Aufenthalt von Ausländern, die der Sozialhilfe zur Last fallen -- vorbehaltlich von Härtefällen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit -- beendet werden kann. Die Handhabung dieser Vorschrift, die in der Praxis bislang kaum eine Rolle spielt, muss verschärft werden.

VI. Wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Zuwanderung

13. Eine Aufnahme von Ausländern aus wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Gründen, die dazu beiträgt, den Standort Deutschland im globalen Wettbewerb zu stärken, liegt im Interesse von Staat und Gesellschaft, soweit sie im Rahmen des Sozialverträglichen bleibt und sich die Gesamtzuwanderung nach Deutschland nicht erhöht. (...)

14. Auch eine wirtschafts- und arbeitsmarktpolitisch begründete Zuwanderung muss sich im Rahmen einer jährlich festzulegenden Gesamtquote halten. (...)

15. Die Gesamtquote wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischer Zuwanderung wird von der Bundesregierung für die jeweiligen Bereiche und Berufssparten und für jedes Land unter Berücksichtigung der genannten Gesichtspunkte, insbesondere des Bedarfs und der Situation am Arbeitsmarkt festgesetzt. (...)

VII. Zuwanderung durch Aufnahme aus humanitären Gründen

16. Deutschland wird sich seiner Verpflichtung, Menschen in Not zu helfen auch in Zukunft nicht entziehen. So muss insbesondere die Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen im Zuge internationaler Aufnahmeaktionen auch weiterhin möglich sein. (...)

VIll. Verbesserte Steuerungsmöglichkeiten; Erprobungsgesetz

17. Zur Steuerung der Zuwanderung und zur Verhinderung von Missbrauch bedarf es weitergehender Informationen darüber, wer sich unter welchen Voraussetzungen wie lange und aus welchen Gründen im Bundesgebiet aufhält. (...)

18. Im Hinblick auf die erhebliche Tragweite einer Neuordnung der Zuwanderungspolitik sollte zur Gewinnung von Erfahrungen eine vier- bis fünfjährige Erprobungsphase vorgesehen werden. (Stand 25.5.2000)