Die Presse (Wien), 03.07.2000

Baschar al-Assad: Eine dunkle Sonnenbrille ersetzt fehlende Härte

Die Syrer fragen sich, ob die Zeit der Stagnation endlich vorbei ist.

Von unserem Korrespondenten Karim el-Gawahry

DAMASKUS. In Syrien regt sich ein frischer Wind. Nach jahrelanger innenpolitischer und wirtschaftlicher Stagnation hat das Antreten Baschar al-Assads, der nach dem Tod seines Vaters, des Präsidenten Hafis al-Assad, in dessen Fußstapfen tritt, zumindest privat und hinter verschlossenen Türen rege Diskussionen ausgelöst. "Es ist, als würde ein riesiger Felsbrocken weggeschoben, der bisher die Autobahn versperrt hatte", meinte ein syrischer Geschäftsmann, ohne den Namen des alten Präsidenten auszusprechen. Garant für Stabilität?

Die meisten Syrer sind sich einig, daß Baschar al-Assad derzeit die beste Option für das Land ist. "Es geht hier nicht darum, ob der Präsident beliebt ist oder nicht. Solange er da ist, bleibt das Land einigermaßen stabil", beschreibt ein Mitarbeiter einer internationalen Organisation in Damaskus die Stimmung im Land. Älteren Syrern steht noch lebhaft die Zeit vor Hafis al-Assad vor Augen; damals wurde das Land innerhalb eines Jahres von vier Militärputschen heimgesucht. In jenem Jahr gab es ganze 40 Tage Schule, erinnern sich die Schüler von damals, die heute selbst schon Väter sind. Die Vorstellung einer blutigen Machtergreifung durch Militärs, die plötzlich aus dem Hintergrund auftauchen, oder gar eines Bürgerkrieges läßt ihnen das Blut in den Adern gefrieren. Präsidentensohn Baschar ist für die meisten der Mann, der Schlimmeres verhüten kann. Was er sonst noch zu bieten hat, ist noch nicht ganz klar. Er sei ganz anders als sein Vater, habe in einer französischen Schule in Damaskus und später in London studiert, spreche Englisch und Französisch, sei noch jung und offen, interessiere sich für Computer und Internet und habe sich gegen die Korruption ausgesprochen, argumentieren die Hoffnungsvollen. "Unschuldige Jungfrau"

"Baschar ist wie eine unschuldige Jungfrau", faßt ein Damaszener Geschäftsmann das Gefühl dieses Lagers zusammen. Die Skeptiker winken ab. Wer einen Computer bedienen kann, muß noch kein Reformer sein. "Und überhaupt", lacht eine junge Frau zynisch bei einer abendlichen Diskussion an einem Damaszener Küchentisch, "was heißt im Westen ausgebildet?" Ganze neun Monate soll Baschar in London verbracht haben. Bei der Beerdigung seines Vaters habe er einen Dolmetsch bei sich gehabt, obwohl er doch angeblich fließend englisch spreche. Es werde nicht lange dauern, bis ihm andere das Zepter aus der Hand reißen, meint sie. Mit dieser Meinung steht sie in Damaskus nicht allein da. Baschar sei einfach der nette Mann von nebenan, aber für die bevorstehenden Machtkämpfe sei er wohl nicht geschaffen, heißt es. Ein Geschäftsmann drückt das gewählter aus: "In ihm steckt nicht genug Machiavelli." Um Baschars Image vom netten Burschen ein bißchen in Richtung harter Typ aufzubessern, erscheint er auf Zeitungsbildern immer häufiger mit dunkler Sonnenbrille. Denn nur wer hart ist, kann in Syrien für Stabilität sorgen. In dem nicht gerade offenen politischen Klima des Landes ist Vorsicht angesagt. Die meisten Leute geben ihre Meinung lieber in Metaphern und Bildern kund als in direkter Rede. Zuletzt wurde das Bild der Tür besonders häufig bemüht: "Die Tür ist aufgegangen, und auch dahinter ist alles schwarz", sagen die Pessimisten. Die Optimisten verwenden dieselbe Metapher mit anderen Vorzeichen: "Nach langer Zeit hat sich die Tür geöffnet, und die Menschen beeilen sich, ihren Fuß in den Spalt zu schieben." Optimisten sind jene, die glauben, daß sich die Zeit nicht einmal in Syrien zurückdrehen läßt, und daß die Situation unabhängig vom Charakter Baschars ihre eigene Dynamik entwickelt. Allerdings: Es gibt weder eine Zivilgesellschaft noch Oppositionsparteien, höchstens ein paar Intellektuelle und Geschäftsleute, die hie und da zusammentreffen und einander Vorträge über die Zukunft Syriens und die nötigen Reformen halten. Seit kurzem werden solche Vorträge sogar in der Öffentlichkeit gehalten, und manchmal ist auch Baschar persönlich als aufmerksamer Zuhörer dabei. Kein Wunder also, daß viele hoffen, er werde die Knoten ein bißchen lockern und wenigstens Diskussionen zulassen.