Der Tagesspiegel, 01.07.2000

Persilschein für Yilmaz

Nach Tansu Ciller ist auch ihr Nachfolger von Korruptionsvorwürfen freigesprochen - und darf Minister werden

Thomas Seibert

Vor dem Kabinettseintritt kam der Persilschein: Der ehemalige türkische Ministerpräsident Mesut Yilmaz wurde in dieser Woche vom Parlament in Ankara endgültig von allen gegen ihn erhobenen Korruptionsvorwürfen freigesprochen. Damit ist für ihn der Weg ins Kabinett von Regierungschef Bülent Ecevit frei. Ecevit forderte Yilmaz am Freitag denn auch öffentlich auf, schleunigst in die Regierung einzutreten. Yilmaz' Platz am Kabinettstisch sei schon bereitet: Der 53-Jährige soll ein eigens für ihn eingerichtetes EU-Ministerium führen und die Vorbereitungen der Türkei auf den EU-Beitritt koordinieren. Yilmaz hat angekündigt, er werde dabei auch unangenehme Wahrheiten ansprechen.

Yilmaz und seiner Erzrivalin im Lager der Konservativen, der Ex-Ministerpräsidentin Tansu Ciller, wird schon seit Jahren vorgeworfen, sie hätten ihre früheren Ämter zu illegalen Geschäften und zur persönlichen Bereicherung missbraucht. Auf diese Weise zu politischen Schmuddelkindern geworden, halfen sich die verfeindeten Politiker jetzt gegenseitig: Cillers Partei verzichtete darauf, im Parlament für eine Anklage gegen Yilmaz vor dem Verfassungsgericht zu stimmen; Yilmaz revanchierte sich auf ähnliche Weise. So wurden beide "weißgewaschen", wie es in den türkischen Medien heißt.

Vor der Klärung der Vorwürfe wolle er nicht Mitglied im Kabinett werden, hatte Yilmaz stets gesagt; seine Mutterlandspartei ist der kleinste Partner in der Dreier-Koalition mit Ecevits Linksnationalisten und der rechtsgerichteten Partei MHP. Auch die Rechtsnationalen, die Yilmaz so lange wie möglich aus dem Kabinett fernhalten wollten, haben sich inzwischen mit seinem Regierungseintritt abgefunden.

Auf den ersten EU-Minister der Türkei wartet viel Arbeit. In dem halben Jahr seit der Anerkennung als EU-Bewerberin hat die Türkei mit innenpolitischen Streitereien viel Zeit verloren; zudem begannen am Freitag die Parlamentsferien, so dass neue Gesetze erst wieder im Oktober verabschiedet werden können - dann wird die Türkei fast schon ein Jahr Beitrittskandidatin sein. Zwar glaubt in der Türkei niemand an die Ankündigung Ecevits, das Land könne schon 2004 EU-Mitglied werden, doch Verzögerungen kann sich die Türkei nicht sehr häufig leisten, wenn sie am Ball bleiben will.

Eine der ersten Aufgaben von Yilmaz wird darin bestehen, seinen Kabinettskollegen das Einmaleins des Beitritts in die EU nahe zu bringen. So muss er Politiker und Militärs davon überzeugen, dass sich die Türkei an die Kopenhagener Kriterien zu halten hat. Insbesondere aus der Armee ist die Beschwerde zu hören, die EU gehe nicht genug auf die "besonderen Verhältnisse" in der Türkei ein. "Die Kriterien stehen nicht zur Debatte", hält Yilmaz dagegen. Ob man auf ihn hört, wird sich noch zeigen müssen. Der EU-Minister in spe wird womöglich feststellen, dass die "Weißwäsche" im Vergleich zu der neuen Aufgabe, die ihn erwartet, doch ein Kinderspiel war.