junge Welt, 30.06.2000

Warum sind Ihre Bücher in Deutschland verboten?

jW sprach mit dem in Bayern lebenden Kurden Haydar Isik

(Der während des großen Kurdenaufstandes 1937 in Dersim geborenen Haydar Isik wurde nach dem Militärputsch von 1980 aus der Türkei ausgebürgert. Seitdem lebt er als Schriftsteller in der Nähe von München. Sein bekanntester Roman »Der Aga aus Dersim« ist auch auf deutsch erschienen. - Haydar Isik ist Mitglied des Kurdischen Nationalkongresses)

F: Am Dienstag wurden in Istanbul die Räume der Demokratie- Partei des Volkes (HADEP) durchsucht und 30 Personen festgenommen. Am selben Tag gab es auch in Köln eine Polizeiaktion: Auf Anordnung der Münchner Staatsanwaltschaft wurde der kurdische Mesopotamia-Verlag durchsucht, und die vorhandenen Exemplare Ihres Romans wurden beschlagnahmt. Gelten die türkischen Gesetze nun auch in Deutschland?

Anscheinend. In der Türkei bin ich ein verbotener Autor. Jetzt werden meine Bücher auch in Deutschland verboten. Bereits am 5. April hat die Polizei stundenlang mein Haus in München durchsucht. Dabei wurde mein neuer Roman »Sasagi Beklemeyecegiz«, das heißt »Wir warten nicht auf morgen«, beschlagnahmt.

Letzte Woche haben Kurden in München einen öffentlichen Hungerstreik für die Freiheit von Abdullah Öcalan durchgeführt. Aus Solidarität habe ich ihnen einen Stapel meiner Bücher vorbeigebracht. Da ist der Staatsschutz an den Infostand gekommen und hat die Bücher beschlagnahmt. Der Polizist, der die Bücher mitnahm, kannte sogar mein Geburtsdatum auswendig, so sehr beschäftigen die sich mit mir.

F: Mit welcher Begründung werden die Bücher beschlagnahmt?

Angeblich ist der Inhalt strafbar und verstößt gegen Paragraph 16 des Pressegesetzes. Mit wird auch ein Verstoß gegen das Vereinsgesetz, also gegen das PKK-Verbot vorgeworfen. Bis jetzt erhielt meine Anwältin allerdings noch keine Akteneinsicht.

F: Worum geht es in dem Roman?

Ich habe die Tagebücher von drei kurdischen Guerillakämpfern gelesen und daraus einen Roman gemacht. Das Buch handelt von einer jungen Kurdin, die ihr Studium abbricht und sich der Guerilla anschließt. Sie schildert das soziale Leben in ihrer Guerillaeinheit. Sie beschreibt ihre Hoffnungen und Ängste, den Kampf gegen Hunger und Kälte in den Bergen, den Kampf gegen die türkische Armee und gegen Verrat in den eigenen Reihen.

F: Vergangenes Jahr hat die PKK den bewaffneten Kampf für beendet erklärt. Ist das Thema des Buches noch aktuell?

Ich habe schon länger an dem Roman gearbeitet. Der Guerillakampf war eine wichtige Realität für das kurdische Volk. Es ist immer noch wichtig, sich an diesen bewaffneten Kampf für Demokratie und Menschenrechte zu erinnern.

F: Das Tagebuch von Che Guevara war in Deutschland ein Bestseller. Warum soll ein fiktiver Roman über eine Guerillakämpferin strafbar sein?

In dem Roman kommt auch ein deutscher Internationalist vor, der bei der Guerilla war. Er erzählt von der deutschen Militärhilfe für die Türkei und von dem deutschen Giftgas, mit dem Kurden im Irak ermordet wurden. In Deutschland hat man wahrscheinlich Angst vor diesen Wahrheiten. Die Angriffe der Polizei gegen mich und meine Bücher werden mich aber nicht davon abhalten, weiterhin die Wahrheit zu schreiben. Ich werde mich in Zukunft noch freier und noch stärker ausdrücken.

F: Der Roman ist in türkischer Sprache erschienen. Ist eine deutsche Ausgabe geplant?

Ich wünsche mir sehr, daß das Buch auch deutsche Leser erreicht. Wenn sich ein deutscher Verlag findet, der das Buch übersetzen und veröffentlichen will, würde ich ihm die Rechte für den Roman sogar schenken.