junge Welt, 30.06.2000

Kritik an falschem Konsens

NGOs empört über Armuts- und Entwicklungsbericht des UN- Generalsekretärs

Während in Genf die Sondersitzung der UN- Generalversammlung zu Fragen der sozialen Entwicklung ihrem Ende entgegen geht, reagierten am Mittwoch nachmittag zahlreiche Nichtregierungsorganisationen (NGOs) empört auf den Bericht »Eine bessere Welt für alle«. UN- Generalsekretär Kofi Annan hatte diesen zu Beginn der Woche mit den Chefs der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der OECD (Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) vorgestellt. Darin heißt es unter anderem: »Die Globalisierung eröffnet den Entwicklungsländern enorme Chancen - besseren Zugang zu Wissen, bessere Technologie, um Waren und Dienstleistungen anzubieten, besseren Zugang zu den Märkten der Welt. Aber um diese Chancen wahrzunehmen, muß gehandelt werden. Die Länder müssen ihre Zölle und andere Handelshindernisse runtersetzen und ihre Systeme für die Abwicklung von Im- und Exporten und Kapitalflüssen in Form bringen. Des Weiteren müssen sie ihre Inflation, Zinsen und Wechselkurse regulieren, um sich ein Ansehen als gute Wirtschaftsstandorte zu erwerben. Schließlich müssen sie sich um konsistente Politik bemühen, um das Vertrauen einheimischer wie ausländischer Investoren zu erhalten.«

Die NGOs - insgesamt 77 von allen Kontinenten, aus Deutschland unter anderem Terre des Hommes und Cairos Europa - halten dagegen, daß gerade die jüngsten Krisen in Asien und anderswo gezeigt haben, daß Marktöffnung und vor allem Liberalisierung der Finanzmärkte kein Weg zur Bekämpfung der Armut sind, sondern im Gegenteil diese eher fördern. Der Bericht, der für sich selbst in Anspruch nimmt, Wege aus der Armut aufzuzeigen, ließe die Rolle der Weltbank und des IWF vollkommen außer acht. Diese hätten in der Vergangenheit von den Regierungen der Entwicklungsländer Maßnahmen verlangt, die für nicht wenige Menschen Verarmung bedeutete. »Genau diese Politik der Bretton-Woods-Institutionen (WB und IWF), die allein auf den Export orientiert und von Wohlstandsverteilung und ökologischer Nachhaltigkeit absieht, ist für die betroffenen Regierungen ein Hindernis in der Entwicklung einer sozialen Politik«, heißt es in einer Erklärung der NGOs. Die Nichtregierungsorganisationen kritisieren insbesondere auch die Art, wie der Bericht zustande gekommen ist.

Während die Vereinten Nationen (fast) alle Staaten auf der Basis gleichen Stimmrechts repräsentieren, sind in der OECD nur die reichen Industriestaaten vertreten, die zugleich die überwältigende Stimmenmehrheit im IWF und in der Weltbank haben. Um gemeinsame Probleme anzugehen, bedürfe es eines Prozesses der Konsensbildung, wie er nur innerhalb der UN möglich sei. Weltbank und IWF würden dagegen ihre Lösungen den Regierungen aufzwingen. In der Tatsache, daß der UN-Generalsekretär dieses Dokument, das die parteiliche Sicht des Nordens repräsentiert, mit eingebracht hat, sehen die NGOs daher eine erhebliche Beeinträchtigung der Verhandlungen.

Schließlich merken die Kritiker an, daß der Bericht die anhaltende Armut in den reichen Ländern vollkommen unberücksichtigt ließe. Hierüber würden keine Statistiken geliefert. Das Bild, das so gezeichnet wird, »zeigt die wirkliche Natur des neuen Konsens: der Norden definiert die Probleme des Südens und liefert die Lösungen«.

Unterdessen ist in den Verhandlungen um Maßnahmen zur Umsetzung der eingegangenen Verpflichtungen immer noch ein erheblicher Teil des Verhandlungstextes umstritten. Europäische Union und USA sperren sich unter anderem dagegen, Gleichheit neben Vollbeschäftigung und Überwindung der Armut als Ziel anzuerkennen.

Wolfgang Pomrehn, Genf