junge Welt, 28.06.2000

Nebelschleier im Fall Lockerbie

USA versuchen, Spur nach Teheran zu verwischen. Zeuge aus Iran unerwünscht

Am 21. Dezember 1988 kamen bei einem Bombenanschlag auf eine Maschine der US-Fluggesellschaft Pan American über der schottischen Ortschaft Lockerbie alle 259 Insassen und elf Dorfbewohner ums Leben. Nach zwölf Jahren ist das Attentat noch immer nicht aufgeklärt. Seit Anfang Mai wird im niederländischen Camp Zeist gegen zwei Libyer verhandelt - obwohl von Anfang an Zweifel an der Stichhaltigkeit der Anklage gegen die beiden Geheimdienstagenten bestanden.

Für viele Ermittler und Geheimdienstler, die mit dem Fall befaßt waren, führen die Spuren zu den Drahtziehern des Attentats keineswegs nach Libyen, sondern in den Iran. Der US-amerikanische Fernsehsender CBS will nun über Beweise verfügen, nach denen Teheran für den Anschlag verantwortlich ist. CBS bezog sich dabei auf dem Sender gegenüber gemachte Angaben von Ahmed Behbehani, der vor etwa vier Monaten aus dem Iran in die Türkei geflohen war. Der Sender veröffentlichte jedoch weder Ton- noch Bildaufnahmen des Iraners Behbehani. Aufgrund der strengen Sicherheitsvorkehrungen in der Türkei sei es unmöglich gewesen, diese anzufertigen, so CBS. Lediglich eine Mitarbeiterin - die aus dem Iran stammende Roya Hakakian - konnte über ihr Gespräch mit Behbehani berichten. Demnach verfügt Behbehani über stichhaltige Dokumente, mit denen er die Verantwortlichkeit der damaligen iranischen Regierung für das Attentat belegen könne.

Der US-Geheimdienst CIA schickte nach Bekanntwerden der Informationen Spezialisten in die Türkei, um die Aussagen Behbehanis zu prüfen. Nach den zwei Wochen dauernden Verhören hieß es schließlich, Behbehani sei nur ein Hochstapler.

Dabei spricht einiges dafür, daß die USA die Authentizität Behbehanis verschleiern wollen. Zum einen könnte sich die Bestätigung seiner Äußerungen belastend auf das sich neu gestaltende Verhältnis beider Staaten auswirken. Behbehani einfach als »Hochstapler« abtun zu wollen, ist insofern schwierig, als er zuständig war für die Verbindung zwischen Regierung und dem als Ministerium für Information und Landessicherheit institutionalisierten Geheimdienst VAVAK.

Gemeinsam mit Behbehani war mit Hamid Akbari ein weiterer hochrangiger Iraner in die Türkei geflüchtet. Akbari war Leiter des Büros von Ali Fallahian, dem ehemaligen Chef des iranischen Geheimdienstes und Drahtzieher des Attentats auf oppositionelle Exiliraner im Berliner Restaurant Mykonos im Jahr 1992. Während des Mykonos-Prozesses wurde vom Generalbundesanwalt ein internationaler Haftbefehl gegen Fallahian erlassen.

Behbehani und Akbari hatten sich nach ihrer Flucht an das Büro des ehemaligen iranischen Staatspräsidenten Abul Hassan Bani Sadr in Paris gewandt, der daraufhin CBS über den Fall Behbehani informierte. Bani Sadr war der erste gewählte Präsident Irans nach der Islamischen Revolution und in der iranischen Geschichte überhaupt. Kurze Zeit nach seinem Amtsantritt geriet er jedoch in Konflikt mit Ayatollah Khomeini und mußte das Land verlassen. Seit seiner Flucht lebt Bani Sadr unter strenger Bewachung der Polizei und seiner Leibwächter im Pariser Exil, wo er zwei Attentaten des iranischen Geheimdienstes entging. Ohne das Engagement Bani Sadrs wäre das Urteil im Mykonos-Prozeß anders ausgefallen: Er war es, der den Zeugen C, den 1996 aus dem Iran nach Deutschland geflüchteten Geheimdienstagenten Abuighassem Mesbahi, an das Berliner Gericht vermittelte. Mesbahi hatte schon damals ausgesagt, der Lockerbie- Anschlag sei von Khomeini befohlen worden.

Bezeichnenderweise steht Mesbahi bei der Verhandlung in Camp Zeist nicht auf der Zeugenliste.

Majid R. Zadeh / Maja Zwick