Berliner Zeitung, 26.06.2000

Schily will Zahl der Asylbewerber in Deutschland reduzieren

Bundesinnenminister will Spielraum für Zuwanderung schaffen, "die unseren Interessen entspricht" / Widerspruch zur Position der Grünen

von Matthias Krupa und Werner Kolhoff

BERLIN, 25. Juni. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) hat sich dafür ausgesprochen, die Zahl der Asylbewerber in Deutschland deutlich zu reduzieren. In der aktuellen Einwanderungsdebatte gehe es darum, "für den Staat Handlungsspielraum zurückzugewinnen", sagte Schily der "Berliner Zeitung". Ziel müsse es sein, Zuwanderung zu ermöglichen, "die unseren Interessen entspricht", und "Zuwanderung zu verhindern, die unseren Interessen zuwiderläuft".

Schily forderte, man müsse unterscheiden "zwischen Zuwanderung, die die Sozialkassen erheblich belastet,und Zuwanderung, die unseren wirtschaftlichen Interessen entspricht". Von etwa 100 000 Asylbewerbern, die pro Jahr nach Deutschland kämen, hätten 80 Prozent "letztlich keinen Anspruch auf Asyl", sagte der Innenminister. "Wenn es uns gelänge, diese Zahl zu reduzieren, hätten wir Spielraum gewonnen." Schily wies darauf hin, dass alle Vorschläge für eine Einwanderungsregelung, die bislang auf dem Tisch lägen, ein Kompensationsmodell enthielten.

Grüne gegen Anrechnung

Schilys Überlegungen stehen im Widerspruch zur Position des grünen Koalitionspartners. Die neugewählte Parteivorsitzende Renate Künast hatte auf dem Parteitag in Münster betont, dass es mit den Grünen "keine Anrechnung des Asylrechts auf Einwanderungsquoten" geben werde. Sowohl die Grünen als auch die SPD lehnen eine Änderung des Asylrechts ab. Schily selbst ließ offen, ob er das Asylrecht ändern oder lediglich die Asylverfahren verkürzen will.

Der Innenminister begrüßte ausdrücklich die Bereitschaft der CDU, über eine Zuwanderungsreglung zu diskutieren. Schily wollte nicht ausschließen, dass es noch vor der nächsten Bundestagswahl zu einem Kompromiss kommen könnte. "Wenn ich die jüngsten Äußerungen aus der CDU/CSU-Fraktion für bare Münze nehme, dann bin ich sehr zuversichtlich."

Schily sagte weiter, neben einer rechtlichen Regelung der Zuwanderung gehe es auch darum, das "gesellschaftliche Klima" in Deutschland zu verbessern. "Die fremdenfeindlichen Anschläge und Verhaltensweisen in unserem Land sind eine Schande." Staat, Politik und Gesellschaft müssten "gemeinsam gegensteuern". Die Forderung von Bundespräsident Johannes Rau nach einem Integrationsgesetz lehnte der Innenminister allerdings ab.

CDU verärgert über Süssmuth

Nicht äußern wollte sich das Innenministerium zu Berichten vom Wochenende, wonach Schily die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) an die Spitze einer parteiübergreifenden Kommission zur Lösung der Einwanderungsfrage stellen wolle. Die Kommission, der Vertreter aller gesellschaftlichen Gruppen angehören sollen, soll nach dem Vorbild der Wehrstrukturkommission ein europataugliches Konzept zur Zuwanderung nach Deutschland erarbeiten. CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz reagierte auf die Nennung Süssmuths am Sonntag mit der schroffen Mitteilung, wer von Schily in die Kommission gerufen werde, könne nicht für die Union sprechen. Das CDU-Präsidium habe die Einsetzung einer eigenen Kommission beschlossen. CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz sagte, die Union werde sich nicht an der Schily-Kommission beteiligen.