Westdeutsche Zeitung, 24.06.2000

Kurden flüchten vor Abschiebung in Kirche

Von Ludwig Jovanovic

Krefeld. Sultan Manaz und ihre fünf Kinder haben sich vor der Abschiebung in die Pfarrkirche Erscheinung Christi geflüchtet und blicken einer ungewissen Zukunft entgegen.

Hüseyin Manaz schaut verängstigt über die Kirchenbank. In seinen Händen zerknüllt der Neunjährige ein Kissen. Seit Dienstag ist sein Zuhause die 150 Quadratmeter große Pfarrkirche Erscheinung Christi an der Dreikönigenstraße. Denn dorthin hat sich die kurdische Familie Manaz vor der Abschiebung geflüchtet. Hüseyin hat nicht verstanden, warum er auf einmal umziehen musste. Aber er sieht sein Muter in der Ecke sitzen und weinen.

"Wir sind alle mit den Nerven fertig", sagt Sevgi Manaz (16), die einmal Anwältin werden will. Ihre Schwester Hatice (17) träumt davon, eines Tages Modedesignerin zu sein. "Aber was für Träume bleiben uns jetzt noch", sagt Sevgi und blickt zu den paar Luftmatratzen und den Schlafsäcke hinter den Kirchenbänken, die jetzt ihr Zuhause sind. Die Familie lebt aus schnell gepackten Taschen. "Wir rechenen damit, ein paar Monate hier zu bleiben", meint Hatice und schaut zum Kirchenfenster. Früher konnte sie über die Straße gehen, jetzt traut sie sich aus Angst vor der Polizei nicht mehr, auch nur einen Schritt vor die Kirchentür zu machen. "Unser kleiner Bruder und unsere elfjährige Schwester Besey verstehen nicht, was los ist", meint Hatice. Aber die beiden spüren die Anspannung und fangen immer wieder an zu streiten.

"In der Türkei will man uns nicht, in Deutschland auch nicht. Wir leben mit der Ungewissheit und der Angst vor unseren Zukunft", meinen die beiden Schwestern. Nur ihre Mutter Sultan Manaz kennt die Türkei aus eigener Erfahrung. "Und ich sterbe lieber, als zurück zu gehen", sagt Sultan Manaz verzweifelt.

"Wir hätten von Herrn Pützhofen mehr erwartet", sagen Sevgi und Hatice. "Wir sind unser ganzes Leben lang in Krefeld, wir sind doch Krefelder." Auch Pfarrer Cornelius Schmidt, der der Familie Asyl in der Kirche gewährte, versteht den Oberbürgermeister nicht. "Er und seine Partei betonen ihre christliche Grundeinstellung, aber das ist kein christliches Verhalten."

Die Stadt Krefeld teilte mit, dass sie das "Kirchenasyl" respektieren werde, obwohl es nicht rechtlich gedeckt sei. Sultan und Hatice Manaz drohe die Festnahme, wenn sie sich außerhalb der Kirche zeigten. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge verschickt die Entscheidung über den Asylfogeantrag erst in diesen Tagen. Ordnungsdezernent Bernd Gansauer hatte gesagt, dass er seit vergangenem Freitag von einem negativen Bescheid wisse.