junge Welt, 24.06.2000

Ohne Alternative
Die UNO, ihre Gründung vor 55 Jahren und ihr zentrales Problem.

Von Norman Paech

Am 26. Juni 1945 wird in San Franzisco die UN-Charta unterzeichnet. Damit ist die UNO (United Nations Organisation) offiziell gegründet. Die Charta tritt am 24. Oktober 1945 in Kraft.

Mit 55 Jahren sind die Vereinten Nationen (UNO) fast doppelt so alt wie ihr glückloser Vorgänger, der Völkerbund. Doch die Zweifel mehren sich, ob sie überhaupt noch in der Lage sind, »den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren (...), freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln.« (Art. 1 UN-Charta)

Daß es die UNO überhaupt gibt, verdankt sie ausgerechnet den US-Amerikanern, die derzeit am schärfsten mit ihr Schlitten fahren. Mit dem Zweiten Weltkrieg hatte das Deutsche Reich dem ersten Versuch eines kollektiven Sicherheitssystems, dem Völkerbund, nach kaum 20jähriger ruhmloser Geschichte den endgültigen Todesstoß versetzt. Da war es schon erstaunlich, daß die Bemühungen um eine friedliche Nachkriegsordnung wieder in ein vergleichbares System kollektiver Sicherheit mündeten. Sie nahmen ihren Ausgang in Neufundland, wohin Roosevelt seinen Kollegen Churchill im Jahre 1941 noch vor dem Kriegseintritt der USA eingeladen hatte, um mit ihm über eine zukünftige Friedensordnung zu sprechen. Churchill stellte sich eine internationale Organisation nach dem Vorbild des Völkerbundes vor. Roosevelt hingegen wollte davon zunächst nichts wissen, da er den Garanten eines zukünftigen Friedens in starken britisch-amerikanischen Streitkräften sah. Die beiden Regierungschefs einigten sich am 14. August auf eine Abschlußerklärung, die als Atlantik-Charta in die Geschichte einging. In ihr hatten sie sich auf die Freiheit des Welthandels und den freien Zugang zu allen Rohstoffen geeinigt und zunächst ganz allgemein von einer »umfassenderen und ständigen Organisation für die allgemeine Sicherheit« gesprochen, der allerdings eine Entwaffnung der Aggressionsmächte vorausgehen müßte.

Nach dem japanischen Überfall auf Pearl Harbour, den US-Marinestützpunkt auf der Hawaii-Insel Oahu, war Roosevelt bereit, die Sowjetunion in die Allianz mit aufzunehmen. Gemeinsam mit Churchill skizzierte er eine »Erklärung der Vereinten Nationen«, die am 1. Januar 1942 von 26 Nationen einschließlich der Sowjetunion unterzeichnet wurde. Ihr schlossen sich bis 1945 weitere 21 Staaten an. Frankreich gehörte nicht dazu, da die Vichy-Regierung sich seit dem Waffenstillstand von 1940 mit Deutschland als Kollaborateur selbst ausgeschlossen hatte. Hingegen akzeptierte Roosevelt den Vorschlag Moskaus, China in die engere Allianz aufzunehmen. Das führte auf den Konferenzen von Moskau und Teheran im Oktober und November 1943 zur Vierer-Konzeption, und die amerikanische Administration machte sich an die Skizzierung eines Organisationsmodells.

Vor allem sollten die negativen Erfahrungen vermieden werden, die man mit dem Völkerbund gemacht hatte. So sollte es ein Überstimmen einer Großmacht im Exekutivausschuß, dem späteren Sicherheitsrat, nicht geben, so daß für die privilegierten Mitglieder das Einstimmigkeitsprinzip zu gelten hatte. Der Vorschlag allerdings, daß jene Mitglieder sich der Stimme zu enthalten haben, die an dem Konflikt beteiligt sind, wurde nicht übernommen. Die zentrale Frage war die der Durchsetzung der Entscheidungen. Die Alternativen sahen einmal die Möglichkeit vor, nationale Truppenkontingente unter dem Kommando des Exekutivausschusses zusammenzufassen und bei Sanktionen einzusetzen, zum anderen die Aufstellung einer permanenten internationalen Polizeitruppe zur Verfügung des Ausschusses. Da die zweite Variante zu große Probleme aufwarf, wurde sie bald fallengelassen.

Die Vorschläge wurden 1943 im Outline-Plan zusammengefaßt. Er enthält die wesentlichen Elemente der späteren UNO: einen mit weitgehenden Kompetenzen ausgestatteten Exekutivausschuß aus ständigen und nichtständigen Mitgliedern und eine schwächere, im wesentlichen auf Empfehlungen verwiesene Generalversammlung. Der neue Internationale Gerichtshof (IGH) wurde ebenso durch das Souveränitätsprinzip begrenzt wie der alte Ständige Gerichtshof des Völkerbundes. D.h. die Unterwerfung unter seine Gerichtsbarkeit erfolgt nicht mit dem Eintritt in die Organisation, sondern nur durch gesonderte Erklärung. Es gibt heute erst 59 solcher Erklärungen. Alle deutschen Bundesregierungen konnten sich bisher nicht zu einer solchen Erklärung entschließen, und die USA zogen 1986 ihre Erklärung zurück, nachdem sie in einem Rechtsstreit mit Nikaragua wegen schwerer Völkerrechtsverstöße verurteilt worden waren.

Der Outline-Plan war Grundlage der Konferenz von Dumbarton Oaks in der Nähe Washingtons, wo von August bis Anfang September 1944 die Experten der vier Mächte einen Entwurf für die Statuten der neuen Organisation erarbeiteten. Über etliche Probleme gab es keine Einigung. So über den Wunsch der Sowjetunion, alle ihre (damals) sechzehn Unionsrepubliken in die Organisation aufzunehmen - sie befürchtete eine hoffnungslose Unterlegenheit in der neuen Organisation wie schon im Völkerbund. Nicht akzeptiert wurde auf der anderen Seite der erneut vorgebrachte Wunsch der Briten und Amerikaner, das Vetorecht für die ständigen Ratsmitglieder einzuschränken, die selbst an einem Konflikt beteiligt sind. Die Experten der Sowjetunion wie der Briten verschlossen sich ferner dem Wunsch, die Menschenrechte in der Satzung zu verankern - über die sozialen und ökonomischen Rechte könne man doch keine Einigkeit erzielen -, und Churchill wollte sie im Hinblick auf das Commonwealth nicht in die Satzung aufgenommen haben.

Die Gipfelkonferenz von Jalta im Februar 1945 brachte dann wesentliche Kompromisse. Die Westmächte akzeptierten zwei Unionsrepubliken, Belorußland und Ukraine, als selbständige Mitglieder mit vollem Stimmrecht, und Stalin gab bei der Abstimmungsmodalität im Sicherheitsrat nach. Diese Frage war für die Sowjets von größter Bedeutung. Warum, hat Churchill in seinen Memoiren anschaulich geschildert: »Stalin erklärte, die drei Großmächte seien zwar heute verbündet und keine von ihnen werde Angriffsakte begehen; er befürchte jedoch, die heutigen Führer würden im Laufe der nächsten zehn Jahre verschwinden, und eine neue Generation werde an die Macht kommen, die nicht mehr aus persönlichem Erleben wisse, was wir in diesem Krieg durchgemacht hätten. >Wir alle<, erklärte er, >wollen aber den Frieden auf mindestens fünfzig Jahre hinaus sichern. Die größte Gefahr liegt in einem Konflikt zwischen uns selber; wenn wir einig bleiben, wiegt die deutsche Gefahr nicht schwer. Deshalb müssen wir jetzt überlegen, wie wir diese Einigkeit auch in Zukunft sichern können und welche Garantien nötig sind, damit die drei Großmächte (und vielleicht auch China und Frankreich) eine gemeinsame Front aufrechterhalten. Es muß ein System ausgearbeitet werden, das Konflikte unter den führenden Großmächten verhindert.< (.) Nach längeren Bemühungen und Erklärungen gelang es uns, Stalin zur Annahme eines amerikanischen Vorschlages zu überreden, wonach der Sicherheitsrat praktisch zur Machtlosigkeit verurteilt blieb, falls sich die >Großen Vier< nicht einig waren. Bei abweichender Auffassung über einen wichtigen Streitfall konnten die Vereinigten Staaten, die UdSSR, Großbritannien oder China ihre Zustimmung versagen und den Rat hindern, irgend etwas zu unternehmen. Das war das Veto. Seine Früchte hat die Welt inzwischen gekostet.«

Kam man Stalin in dieser Frage entgegen, so akzeptierte er Churchills Wunsch, die britischen Kolonien nicht unter die Treuhandschaft der UNO zu stellen. Frankreich wurde schließlich als fünfter Staat in den Kreis der privilegierten Großmächte aufgenommen. Und wie in Jalta beschlossen, wurde die Satzung mit ihren Kompromissen auf der abschließenden Konferenz der 50 Staaten der »Atlantik- Charta« in San Franzisko akzeptiert und am 26. Juni 1945 als Charta der Vereinten Nationen verabschiedet. Sie trat am 24. Oktober 1945 in Kraft, nachdem die jetzt fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats und die Mehrheit der Unterzeichnerstaaten ihre Ratifikationen hinterlegt hatten. Ein Jahr später, im Dezember 1946, beschloß die Generalversammlung, das Angebot der USA anzunehmen und den Sitz der Vereinten Nationen in New York zu errichten.

Den inneren Beweggrund und das Versprechen ihrer Existenz, »kommende Generationen vor der Geißel des Krieges zu bewahren«, hat die UNO bisher nicht einlösen können. Weder ihr Einsatz gegen den Irak im zweiten Golfkrieg noch ihre Untätigkeit beim Völkermord in Ruanda oder ihre Ausmanövrierung durch die NATO im Krieg gegen Jugoslawien deuten auf eine effektivere Zukunft. Doch eine Alternative gibt es nicht, und an Reformvorstellungen ist kein Mangel. Es fehlt aber am Willen der Großmächte, an ihren Privilegien und ihrer Souveränität Abstriche hinzunehmen, sich selbst den Regeln eines kollektiven Sicherheitssystems zu unterwerfen und ihre imperialen Ambitionen zu zügeln. Und das ist das zentrale Problem der UNO.

Zitat: »Meine Moskauer Kollegen können nicht vergessen, was sich während des russisch-finnischen Krieges im Dezember 1939 abgespielt hat, als Briten und Franzosen den Völkerbund gegen uns in Bewegung brachten und es ihnen gelang, die Sowjetunion zu isolieren und aus dem Völkerbund auszuschließen, als sie später sogar mobil machten und von einem Kreuzzug gegen Rußland sprachen. Können wir nicht Garantien bekommen, daß sich so etwas nicht wiederholt?« (Josef W. Stalin, zitiert nach den Memoiren von Winston Churchill)