Neue Zürcher Zeitung (CH), 22.06.2000

Verjüngte Baath-Führung in Syrien

Asad junior mit den alten Grössen auf bewährtem Kurs

Der Kongress der herrschenden syrischen Baath-Partei hat Asads Sohn Bachar zum Generalsekretär und eine verjüngte Führung bestellt. Das Überleben der Weggefährten des alten Asad sowie Parolen für Säuberung und Modernisierung von Staat, Partei und des staatlich dominierten Wirtschaftssystems bekräftigen den Kurs übervorsichtiger Reformen. Syrien hält am «gerechten Nahostfrieden» und an der Forderung nach arabischer Einigung fest.

vk. Limassol, 21. Juni

Bachar al-Asad, der auserkorene syrische Präsidentschaftskandidat und Oberkommandierende der Streitkräfte, ist vor dem Abschluss des Regionalkongresses am Dienstagabend in aller Form auch zum Generalsekretär der Baath-Partei gewählt worden. Er hat aber bei den Neubesetzungen während des viertägigen Kongresses die Partei nicht im Sturm nehmen können. Zwar wurden im 21-köpfigen Kommandorat 12 Mitglieder ausgewechselt, und im Zentralkomitee änderten 62 der insgesamt 90 Namen, wobei 12 Frauen anstatt der bisher 3 ernannt wurden. Doch diese Verjüngung ist an sich noch keine Grosstat Bachars, zumal in den letzten 15 Jahren kein Parteikongress mehr stattgefunden hatte.

Welches sind Bachars Seilschaften?
Die altbekannten Galionsfiguren des Regimes, welche sich jahrzehntelang nur als bedingungslose Verbündete des verstorbenen Präsidenten auszeichneten, teilen weiterhin das Rampenlicht im Kommandorat: Verteidigungsminister Mustafa Tlass, Vizepräsident Abdelhalim Khaddam, reine Baath-Bürokraten wie Vizepräsident Zuhair Masharka, Vizegeneralsekretär Abdallah al-Ahmar und Parlamentspräsident Abdelkader Kaddura. Wieweit Bachar seine eigenen Vertrauensleute einbrachte, die er während seiner vierjährigen Einführung in die Staatsgeschäfte an sich gebunden hatte, ist schwer zu beurteilen. Sicher ist die Aufnahme von Ministerpräsident Miro und seinem Stellvertreter Naji al-Aitri sowie dem Minister für Lokalverwaltung, Sallam Yassin, ins Baath-Kommando ein Erfolg, da Bachar seinerzeit höchstpersönlich den Regierungschef ausgesucht hatte.

Aussenminister Faruk ach-Charea, ein langjähriger treuer Diener des Vaters, wurde ebenfalls Führungsmitglied. Umgekehrt kamen Bachars angebliche Verbündete in den Geheimdiensten nicht ins Gremium, weder sein Schwager Asef Chaukat noch der Saubermann Bahjat Suleiman, noch Ali Dubas Nachfolger im militärischen Nachrichtendienst, Hassan Khalil. Die Zahl der Militärs im Kommandorat ist ohnehin auf zwei geschrumpft; die andern wurden ins Zentralkomitee verbannt. Somit fehlt ein klares Bild von Bachars politischen Seilschaften, mit denen er die durch die Ämter gegebenen Loyalitäten absichern könnte; Hafez al-Asads alte Waffenkameraden und Parteifreunde hingegen waren allen bekannt und bilden eine Stütze der Stabilitätspolitik.

Der neue Baath-Generalsekretär versicherte in einer nur zwanzigminütigen Ansprache im Kongress, er wolle dem Baath wieder eine aktive Rolle zurückgeben. Der alte Präsident hatte die Partei in seinen späteren Jahren als reine Kulisse einer Massenorganisation und Spielfeld für Posten und Pfründen leer laufen lassen. Nun soll sie erneut politische Lenkerin und Hüterin der Regierung sein, die sich aber aus den praktischen Geschäften zurückhält. Zu den Rezepten für die innere Erneuerung gehört eine neues Reglement, das die rasche Aufnahme und Beförderung junger und kompetenter Kräfte erlaubt. Ausmerzung säumiger und negativer Elemente ist nun auch gefragt. Bisher lag das Hauptgewicht auf Dienstalter und kompromissloser Loyalität.

Eine Einschränkung durch Khaddam
Die politischen Leitlinien des Baath-Kongresses für Syrien gehen, wie nicht anders möglich, von Hafez al-Asads Vermächtnis aus. Seine verschiedenen historischen Märsche sollen weitergehen: das Ringen um einen Nahostfrieden, die Stärkung der arabischen Einheit, die Reform der syrischen Wirtschaft, der Kampf gegen Korruption und Misswirtschaft, der Aufbau eines sozial gerechteren und leistungsfähigeren Staates. Der ausführliche Bericht über Syriens Regionalpolitik wurde von Vizepräsident Khaddam vorgelegt. Im Israel-Konflikt übernahm er von Hafez al-Asad getreulich die «strategische Option eines gerechten und umfassenden Nahostfriedens», fügte jedoch von sich aus hinzu, «solange die Umstände einen solchen ermöglichen». Darauf ging kein Kommentator und auch Aussenminister Charea nicht ein, der nur als unverrückbaren Preis die Rückgabe des Golans bis zu den Juni-Linien von 1967 nannte. Khaddam ermahnte auch dazu, die volle Souveränität und Entscheidungsfreiheit Libanons zu respektieren. Al-Ahmar präzisierte dann, die Opportunität eines syrischen Abzugs aus dem Zedernland sei von den beiden betroffenen Regierungen zu klären. Schliesslich tat sich Khaddam mit dem ungewöhnlichen Ruf nach Umsetzung der Bürgerfreiheiten in Syrien hervor; für vieles gebe es klare Gesetze, doch würden diese in einer Art ausgelegt und angewandt, die den Bürger einschüchtere.

Die Empfehlungen des Baath-Kongresses zur Wirtschaftspolitik, verfasst unter Anleitung von Ministerpräsident Miro, umfassen im Kontrast zu den anderen kurzen Erklärungen über tausend Punkte. Die Rezepte scheinen zwar richtig, aber der Widerstreit zwischen dem staatlichen Sektor, dem gemischten, dem genossenschaftlichen und dem privaten Sektor, welche alle erhalten und ausgebaut werden sollen, ist gewaltig. So will die Baath-Partei alles miteinander getan haben: Stärkung der Rolle der Justiz, weitere Reformen der Gesetze und des ökonomischen Regelwerkes, Förderung des Investitionsklimas, höhere Effizienz der Staatsbetriebe, Entwicklung und Entschlackung des Staatsapparats, allgemeine Informatisierung, gerechtere Steuerpolitik zur Förderung von Produktion und Export, Überprüfung der Arbeitsweise und Stärkung der Kontrollbehörde, breiteren Spielraum für die Staatsunternehmen und Entflechtung zwischen staatlichen Firmen und Verwaltungszweigen und schliesslich die Verbesserung der Einkommenslage der Bürger. Die «Syria Times» hat vielleicht, ohne es zu ahnen, die Gefahren des bisher glatten Machtwechsels erkannt; sie schrieb von dem «grenzenlosen Ausmass der Hoffnungen, die das Volk mit dem Bachar-Regime verbindet».