taz Berlin 21.6.2000

Traditionsbewusster Chef verlässt den Horchposten

Verfassungsschutzchef Eduard Vermander tritt wegen zahlreicher Pannen zum 1. Juli ab. Skandale haben auf seinem Posten Tradition - seit 1952

Gestern hatte Eduard Vermander seinen letzten öffentlichen Auftritt als Chef des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV). Zum Monatsende wird er - zwei Jahre vor der Zeit - seinen Sessel "auf eigenen Wunsch" räumen und in den Ruhestand gehen. Diese Formulierung wird immer dann gewählt, wenn einem schmachvollen Hinauswurf entgangen werden soll. Und der hatte Vermander gedroht. Eine peinliche Prozessschlappe gegen die Partei der Republikaner und falsche Scientology-Vorwürfe gegen den Polizeidirektor Otto Dreksler hatten seinen Ruf ruiniert.

Seinen Amtsvorgängern ist es nicht viel anders gegangen. Von den zehn LfV-Leitern haben bislang nur zwei Interimskandidaten den Posten ohne Blessuren gemeistert. Die Serie der Fehlbesetzungen begann 1952. Nach nur wenigen Monaten wurde Werner Otto, der erste Amtsleiter, wieder abgelöst: "auf eigenen Wunsch". Dahinter steckten politische Intrigen und ein "wild wogendes Privatleben" auf Kosten der Steuerzahler. Viel länger hielt sich auch Gotthard Friedrich (1952 - 53) nicht. Ausgerechnet die Berliner Abgeordneten hatte er unter die Lupe nehmen lassen. Er wurde "beurlaubt".

Erst mit Heinz Wiechmann (1953 - 65), dem dritten Chef der Schlapphüte, endeten die fliegenden Wechsel. Skandale, wie etwa die Ausspähung der Berliner Arbeitslosenvereinigung, hatte es auch bei ihm gegeben. Bis zur "Affäre Pension Clausewitz" meisterte Wiechmann diese aber besser als seine Vorgänger. Die Pension Clausewitz, ein bei Unterweltlern, sowjetischen Agenten und deutschen Politikern gleichermaßen beliebtes Bordell, beförderte dann auch ihn 1965 aus dem Amt. Dem Verfassungsschutz war damals eine Auflistung des illustren Kundenkreises in die Hände gefallen. Auf Anweisung der alliierten Sicherheitsoffiziere wurde deren Existenz dem Innensenator jedoch verschwiegen. Als Wiechmann selbst auf Nachfrage noch leugnete, war er beim dritten Nein gefeuert.

Die Aufgabe von Heinz Fahs (1965 - 66), seinem Nachfolger, bestand darin, den Sessel für Eberhard Zachmann warm zu halten. Zachmann (1966 - 74) residierte knapp zehn Jahre. Mit ihm begann die große Zeit professioneller Vertuschung, die sein Nachfolger Franz Natusch (1975 - 86) perfektionierte. Dass der CDU-Abgeordnete und spätere Innensenator Heinrich Lummer 1971 einer rechtsradikalen Gruppe unter den Augen der Verfassungsschützer Geld zugesteckt hatte, die eigene Verstrickung des Amtes in den Mordfall Schmücker 1974 oder Lummers Techtelmechtel mit der Stasi in den Jahren 1970 bis 1984, alles verschwand im LfV-Tresor. Erst Jahre nach ihrer Pensionierung holten die Skandale das Gespann Zachmann/Natusch 1990 doch noch ein.

Nach Natuschs Abgang 1986 glich der Chefsessel wieder einem Karussell. Dieter Wagner (1986 - 89), wie Vermander ein Geheimdienstimport aus Baden-Württemberg, hielt sich dort nur zweieinhalb Jahre. Er hatte versucht, den SPD-Abgeordneten Erich Pätzold ausforschen zu lassen. Als dieser 1989 Innensenator und damit sein oberster Dienstherr wurde, war Wagners Karriere schlagartig zu Ende. Ihm folgte sein bisheriger Stellvertreter, der Berliner Kripo-Mann Dieter Schenk. Der sollte das chronisch skandalträchtige Amt eigentlich "ausmisten" und für rechtsstaatliches Arbeiten sorgen. Doch nach neun Wochen wurde ein Nachfolger benannt.

Nun übernahm der Verwaltungsbeamte Heinz Annußek (1990 - 95) die Leitung des Amtes. Der fand am Geheimdienstflair zwar rasch Gefallen, führte die Behörde ansonsten aber so fantasielos und bürokratisch, wie er zuvor in der Innenverwaltung Haushalts- und Personalfragen bearbeitet hatte. Genau dies löste 1993 den "Mykonos"-Skandal aus: Im Herbst 1992 waren vier kurdische Exilpolitiker von iranischen Geheimdienstagenten ermordet worden. Der Drahtzieher des Attentates war dem LfV seit langem bekannt, auf eine Telefonüberwachung war jedoch verzichtet worden, da man keinen Dolmetscher hatte. Trotz dieses Versagens durfte Annußek seinen Posten bis zur Pensionierung behalten.

1995 folgte nun Eduard Vermander. Mit seinem Ausscheiden will Innensenator Werthebach das Verfassungsschutzamt nun formell auflösen und neu strukturieren. Viel helfen wird dies Vermanders Nachfolger kaum. OTTO DIEDERICHS