Badische Zeitung, 21.6.2000

Tragödie von Dover weckt in der rotgrünen Koalition Zweifel an der strengen Abschiebepraxis

Per Quote gegen Schlepper?

Von unserer Korrespondentin Jutta Wagemann

BERLIN. Der Tod von 58 Flüchtlingen in Dover hat in Berlin eine Debatte um die notwendigen politischen Konsequenzen ausgelöst. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) und die Koalitionsfraktionen warnten vor der populistischen Forderung nach schärferen Gesetzen gegen Schlepper.

Im Innenministerium und bei den Grünen herrschte gestern Einigkeit, dass Einwanderungsquoten "eine gewisse Entschärfung" der Schleuser-Kriminalität bringen könnten, wie ein Ministeriumssprecher sagte. "Die Schaffung neuer Zuwanderungsmöglichkeiten für Menschen in Not" sei ein Ansatzpunkt, um solche Tragödien wie in Dover zu verhindern, sagte die menschenrechtspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Claudia Roth. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Dieter Wiefelspütz, war hingegen skeptisch. Schlepperbanden ließen sich nur durch internationale polizeiliche Zusammenarbeit bekämpfen.

Nach Auffassung von Kennern sind es vor allem Menschen ohne Aussicht auf politisches Asyl, die sich auf Schleuser einlassen, um in das gewünschte Land zu kommen. Das treffe auch politische Flüchtlinge, berichteten Flüchtlingsexperten der Grünen. Wer ohne Pass eintreffe, werde in einen "sicheren Drittstaat" abgeschoben. Diese Abschottung verstärke die illegale Einwanderung.

Im vergangenen Jahr registrierte der Bundesgrenzschutz (BGS) an deutschen Grenzen 37'789 unerlaubte Einreisen. Das waren sechs Prozent weniger als im Vorjahr, was der BGS vor allem auf das Ende des Kosovo-Krieges zurückführt. Nach dem gerade erschienenen BGS-Jahresbericht hat sich die deutsch-österreichische Grenze zu einem Brennpunkt der Schleuserkriminalität entwickelt. Dort wurden 46 Prozent aller Schleuser 1999 aufgegriffen.

Die Grüne Roth sieht einen Zusammenhang zwischen der Verschärfung der Kontrollen und dem Aufkommen von Schleuserkriminalität. Das Innenministerium wies jedoch darauf hin, dass die Alternative nicht sein könne, illegale Einreise weniger zu ahnden. Einheitliche Einwanderungsquoten in der Europäischen Union könnten das Problem eher verringern. Dann hätten auch Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen nach Europa flüchteten, Möglichkeiten zur legalen Einwanderung. Bislang sieht es allerdings danach aus, dass sich Schily hier der restriktiven Haltung der EU anschließen will.