Frankfurter Rundschau 21.06.2000

Studie Schleuser kämpfen brutal um ihre "Marktanteile"

GENF, 20. Juni (dpa). Der Streit um "Marktanteile" zwischen Schleuserbanden, die illegal Flüchtlinge nach Europa bringen, hat sich in den vergangenen drei Jahren extrem verschärft. Zu diesem Ergebnis kommt eine am Dienstag in Genf veröffentlichte Studie der Internationalen Organisation für Migration (IOM). Schießereien zwischen Schleusergruppen in der Tschechischen Republik, von denen eine von Roma und eine andere von Albanern kontrolliert werde, seien nur eines von vielen Beispielen für die zunehmende Konkurrenz zwischen den Banden.

Die UN-Organisation rechnet damit, dass sich die großen, mafia-ähnlichen Menschenschmuggler-Organisationen in naher Zukunft zahlreiche kleinere Schleuser-Ringe einverleiben werden.

Laut IOM-Bericht muss ein Kurde derzeit ungefähr 3000 US-Dollar (rund 6000 Mark) zahlen, um illegal nach Deutschland gebracht zu werden. Von Menschen aus Afghanistan oder Libanon verlangen die Schleuser zwischen 5000 und 10 000 Dollar. Ein Chinese, der nach New York möchte, zahlt im Schnitt mehr als 30 000 Dollar. Vergleichsweise preiswert sind die Schleuserdienste für Mexikaner, die über die Grenze nach Los Angeles wollen. Sie zahlen 200 bis 400 Dollar.

Die IOM zeigt in ihrem Bericht fünf Hauptrouten für den Menschenschmuggel nach Europa auf. Die drei Land-Routen führen entweder über Russland, die baltischen Staaten und Polen, über die Ukraine, den Balkan und Tschechien oder durch Bulgarien, Rumänien und Jugoslawien. Zusätzlich gibt es eine Nahost-Mittelmeer und eine Nordafrika-Mittelmeer-Route, die nach Italien und Spanien führt.

Nach Einschätzung der IOM ist Deutschland nach wie vor das beliebteste Zielland für illegale Einwanderer. Immer mehr ziehen außerdem Polen und Ungarn an, zwei Staaten, die bisher nur als Transitländer galten. Seriöse Schätzungen über die Zahl der illegalen Einwanderer in Europa gibt es laut IOM nicht.

Weitgehend machtlos sind die europäischen Grenzbeamten gegen die chinesischen "Schlangenkopf"-Schleuserbanden, die offenbar hinter dem Todestransport von Dover stecken sollen. Für die Polizei sei es fast unmöglich, diese "extrem gefährlichen" Gruppen zu unterwandern, sagen Experten der IOM.