taz 19.6.2000

Die Werbung lernt Türkisch

Ethnomarketing für größeren Umsatz. Besonders Stromanbieter und Telefongesellschaften bemühen sich mit speziellen Werbekampagnen um türkische Kunden. Und das höchst erfolgreich

von ULRICH NOLLER

Vormittags um zehn, irgendwo in Deutschland: Ein älterer Mann kauert unter einem Waschbecken. Freundlich winkt er mit der Rohrzange in die Kamera. Die Frau des Mannes steht zur gleichen Zeit am Bügelbrett. Sie hält sich das Bügeleisen wie einen Telefonhörer ans Ohr. Der Bruder, offensichtlich ein Unternehmer, verhandelt nebenan in seinem verrauchten Büro mit Geschäftspartnern. In der Küche steht die Oma, die ein Kopftuch trägt. Sie hat eine große Pfanne in der Hand, aus der sie unvermittelt ein Zifferblatt zaubert. Und zum Schluss sieht man die Tochter. Modern und selbstbewusst sitzt sie im Wohnzimmer und schaut gerade von der Zeitung auf. Was sich anhört wie das Setting einer Vorabendserie, ist in Wirklichkeit ein Fernsehspot. Von einer Münchener Werbeagentur auf Türkisch produziert für einen norddeutschen Telekommunikationsanbieter, der damit um türkischdeutsche Kunden buhlt.

Mit Mobilcom telefonieren ist so billig, sagt der Vater. In die Türkei kostet es nur 69 Pfennig pro Minute, fügt die Mutter hinzu. Dann nennt der Onkel den Taktpreis innerhalb Deutschlands. Die Oma mit dem Zifferblatt weist auf sekundengenaue Abrechnung hin. Und zum Schluss betont die Tochter, wie einfach es ist, Kunde dieses Anbieters zu werden.

Ungefähr zweieinhalb Millionen Menschen umfasst die türkische Minderheit in Deutschland. Sie verdienen, allen Klischees zum Trotz, überdurchschnittlich gut und sie kaufen betont markenbewusst. Darüber hinaus gehören sie besonders häufig zur begehrten Zielgruppe der 14- bis 49-jährigen. Kein Wunder also, dass Handel und Industrie sie nicht immer, aber immer öfter als Käufergruppe entdecken, die es mit zielgruppengerechter Werbung zu erobern gilt. Ethnomarketing heißt deshalb im Werbebereich das Gebot der Stunde.

"Die meisten Türken wollten auf Türkisch angesprochen werden", sagt der Münchner Unternehmer Bülent Tulay, dessen Agentur den eingangs erwähnten Mobilcom-Spot konzipiert hat. Dabei reiche es nicht aus, einfach die deutsche Werbung ins Türkische zu übersetzen. Die Zielgruppe erwarte vielmehr, mit maßgeschneiderten Kampagnen von einem Produkt überzeugt zu werden.

"Mit deutschen Kampagnen, die ins Türkische übertragen werden, identifiziert sich ein türkischer Kunde nicht", bestätigt auch Marketingspezialistin Tülin Yesilgonca, die beim Kölner Stromanbieter Yello für ethnische Werbung zuständig ist. Es gehe vielmehr darum, die Gruppe mit ihren ganz speziellen Emotionen wahrzunehmen und die Werbung diesen Gefühlen anzupassen. "Wir wollen des- halb türkische Sprache und türkische Lebensweise in den Spots haben."

Fernsehspots, die türkische Konsumenten überzeugen sollen, sprechen eine deutlichere Bildsprache als deutsche Spots, sie sind bunter und praller. Sie verzichten auf blondes Haar, blaue Augen, blanke Haut. Und sie bedienen völlig andere Wertvorstellungen. "Dass ein türkischer Ingolf Lück im Bild auftaucht und eine Türkin auf dem Tisch bearbeitet, das wird es in einem türkischen Spot nicht geben", sagt Bülent Tulay. "Wir haben eine Familie, die Türken legen ja großen Wert auf die Familie, und der Witz vollzieht sich in der Familie."

Ethnomarketing berücksichtigt die religiösen, moralischen und ästhetischen Gefühle der Zielgruppe, das bestätigt auch Salih Atik, Mediadirektor der Berliner Agentur WFP. Nackte Männerpopos, offene Kondompackungen oder schon allein Haustiere in der Küche, solche Bilder seien in türkischer Werbung fehl am Platz. "Mindestens genauso wichtig wie die Ansprache ist aber der Service", so Atik weiter. "Die türkische Gruppe will dem Produkt vertrauen können", weiß auch Tülin Yesilgonca. Und dazu sei eine türkischsprachige Betreuung notwendig. "Gelb, gelber, Yello-Strom", das ist wie in deutschen Spots auch auf Türkisch das Motto, mit dem das Unternehmen dem farblosen Produkt Energie ein Profil geben wollen. Allerdings darf in keiner Werbung des Energieversorgers der Hinweis auf die Hotline fehlen: 24 Stunden am Tag ist das Callcenter mit Muttersprachlern besetzt, es gibt türkische Broschüren und eine türkische Homepage im Internet. Und demnächst sollen sogar die Rechnungen auf Türkisch erstellt werden. Ein umfassendes Serviceangebot, das dem türkischstämmigen Kunden signalisiert, dass er bei dieser Firma nicht nur mit flotten Sprüchen angelockt, sondern auch hervorragend betreut wird.

"Es gibt einen Trend zum Ethnomarketing", sagt auch Thomas Docter vom Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft in Bonn. Von entscheidender Bedeutung für den jetzigen Erfolg sei das in den Neunzigerjahren ausdifferenzierte Mediensystem mit türkischen Fernsehsendern, Radiostationen und einer vielfältigen Printlandschaft. Es ermögliche die konkrete, gezielte Ansprache der Kundschaft. "Interesse an der Zielgruppe gibt es allerdings schon viel länger", so Docter weiter.

Die Frankfurter Agentur T.E.T. mache zum Beispiel schon seit den Siebzigerjahren heimatsprachliche Werbung für Zuwanderer, lange bevor die Bezeichnung Ethnomarketing in Mode gekommen sei. Und tatsächlich zeigt sich, dass vor allem die neu gegründeten Unternehmen der liberalisierten Märkte das investigative Marketing betreiben, von dem jetzt allenthalben die Rede ist.

Traditionelle Markenartikler wie etwa Braun sind dagegen längst auch bei Zuwanderern etabliert, und das nicht zuletzt aufgrund erfolgreicher herkunftssprachlicher Kampagnen in den Siebziger- und Achtzigerjahren. Die Frage, ob der Trend zum Ethnomarketing das Gesicht der deutschen Werbung verändern werde, beantwortet Thomas Docter eher zurückhaltend. Werbung sei ein Spiegel der Gesellschaft, und die Werbung in Deutschland längst die eines Einwanderungslandes. "In jedem beliebigen Versandhauskatalog finden sich die Spuren der multikulturellen Gesellschaft, das fängt bei der Auswahl der Models an."

WFP-Mediadirektor Salih Atik ist da allerdings anderer Ansicht. Zwar sehe man in letzter Zeit Türken auch in Fernsehspots, die sich an den Mainstream richteten, sagt er. Aber besonders ausgeprägt sei das multikulturelle Selbstverständnis der Marketingabteilungen anscheinend nicht, denn über die Karikierung türkischer Zuwanderer im Stile von Harald Schmidts Chauffeur Üzgür gelange die Werbewelt bisher noch nicht hinaus. Respekt bleibt den türkischen Zuwanderern im deutschen Werbemainstream bisher versagt.

Umso wichtiger ist daher das Ethnomarketing, das beweist nicht zuletzt ein Werbespot der Firma o.tel.o: Ein alter Mann wandelt da durch einen sattgrünen Wald. Einem Märchenonkel gleich erzählt er eine kleine Geschichte. Seine Botschaft ist einfach und klar: Für jeden neuen Kunden pflanzt der Telekommunikationsanbieter einen Baum in einer erosionsgefährdeten Region der Türkei. "O.tel.o spricht Türkisch", sagt eine Frauenstimme noch, bevor sie am Ende des Spots die Nummer der türkischen Hotline nennt.

200.000 Bäume mussten in der Gegend um Istanbul bisher gesetzt werden. Damit hat o.tel.o innerhalb von nur zwei Jahren ein Drittel der türkischen Haushalte in Deutschland von der Telekom abgeworben. Ein immenser Erfolg.