Tagesspiegel, 14. Juni 2000 (Kommentar)

Einwanderung
Frische Luft im deutschen Muff

Schily macht Politik - die Grünen schauen zu

Ulrike Fokken

Auf der Computermesse Cebit hatte Kanzler Schröder im Winter angekündigt, Software-Experten ins Land zu holen und so der geplagten Industrie aus einer Personalklemme zu helfen. Die Green Card genannten befristeten Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen erhitzen seitdem die Gemüter. Das ist kurios. Denn außer der Union mit ihrem Sonderthema "Abschaffung des Asylrechts" wollen im Grunde alle politischen Parteien dasselbe: die Zuwanderung von Ausländern steuern. Und begrenzen. Die FDP hat bereits 1998 ein Zuwanderungsbegrenzungsgesetz in den Bundestag befördert. Die Sozialdemokraten haben schon in ihrem Wahlprogramm von 1998 "eine wirksame gesetzliche Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung" gefordert. Einzig von den Grünen weiß man nicht so recht, welche Ausländerpolitik sie wirklich wollen. Immerhin war das Thema Ausländer die ganze Kohl-Ära hindurch ein Grundpfeiler grüner Politik. Mit dem "Komplex Ausländer" zogen die Grünen gegen den Kleingeist und die Erstarrung der Regierung Kohl ins Feld. Denn in der Ausländerpolitik der schwarz-gelben Regierung offenbarte sich der Abgrund eines überkommenen Konservativismus.

Doch jetzt schweigen die Grünen. Seit Monaten diskutieren sie allenfalls hinter verschlossenen Türen über das nun auch in den eigenen Reihen angstbesetzte Thema. Sie dürfen sich aus der Deckung trauen. Ausgerechnet Innenminister Otto Schily, der mutmaßliche Vertreter einer Das-Boot-ist-voll-Ideologie, plant eine Kommission, die sich Gedanken über die künftige Ausländerpolitik Deutschlands machen soll. Schily hatte bereits vor Monaten dafür plädiert, verloren gegangenes Terrain zurück zu gewinnen und den Ausländerzuzug zu begrenzen. In der Zwischenzeit hat ihm offensichtlich Kanzler Schröder nahegelegt, dass nach bewährtem deutschem Modell - gründen wir erstmal eine Kommission - ein Konsens zu erreichen ist. Nach dem Green-Card-Versuchsballon des Kanzlers soll nun die geordnete Arbeit folgen.

Denn Deutschland braucht braucht junge, leistungsstarke Arbeitskräfte für die guten und die schlechten Jobs der kommenden Dienstleistungsgesellschaft. Insofern sind Schilys Pläne - soweit bekannt - zu begrüßen. Sie zeigen, dass die rot-grüne Regierung die Schrankwand-Gemeinschaft aufbrechen möchte. Dies geschieht einzig aus der Einsicht in die Notwendigkeit, dass das Land frisches Humankapital braucht, um weltweit zu bestehen.

Doch selbst wenn es hier einen Konsens aller politischen Parteien geben sollte - damit allein lässt sich der Rassismus zwischen den Schrankwänden nicht überwinden. Er hängt dort fest wie schlechter Geruch in ungelüfteten Räumen. Es bleibt spannend zu beobachten, wie Schily frische Luft in den deutschen Muff bringen wird.