Süddeutsche Zeitung, 14.6.2000

"Nato zielte nicht mit Absicht auf Zivilisten"

Den Haag (AP/dpa) - Das UN-Kriegsverbrechertribunal sieht keinen Anlass für Ermittlungen gegen die Nato wegen angeblicher Kriegsverbrechen im Kosovo-Krieg. Es lägen keine Beweise dafür vor, dass die Nato bei der 78-tägigen Offensive absichtlich auf Zivilisten gezielt habe, heißt es in einem am Dienstag veröffentlichten Bericht des Tribunals für das ehemalige Jugoslawien. Der Ausschuss hatte zuvor in einer 13-monatigen Untersuchung entsprechende Vorwürfe der Belgrader Regierung und mehrerer Menschenrechtsorganisationen geprüft.

Der stellvertretende Chefankläger des Tribunals, Graham Bewitt, sagte in Den Haag, man habe sich ausnahmsweise zur Veröffentlichung des 44 Seiten langen Berichts entschieden, um Vorwürfen der Manipulation aus dem Weg zu gehen. "Wenn wir ihn nicht veröffentlicht hätten, könnte man uns vorwerfen, ein politisches Werkzeug der Nato zu sein", erklärte Bewitt. Chefanklägerin Carla Del Ponte hatte bereits in der vergangenen Woche angekündigt, dass das Tribunal keine Ermittlungen gegen die Allianz aufnehmen werde. Am Dienstag sagte Del Ponte, der Verzicht auf Ermittlungen gegen die Nato wegen der Luftangriffe im Kosovo gründe sich "allein auf Fakten und das Recht". Zur Beschlussfassung seien Dokumente der Nato, öffentliche Erklärungen der Allianz und von ihr angehörenden Mitgliedsländern sowie Unterlagen der Bundesrepublik Jugoslawien herangezogen worden.

21 schwere Vorwürfe

Insgesamt wurden der Nato in 21 Fällen Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Zu den Anschuldigungen gehörten ein Angriff auf eine Brücke, über die ein Personenzug fuhr, die Bombardierung eines Flüchtlingstrecks bei Djakovica und der Angriff auf das Gebäude des amtlichen serbischen Fernsehens und Radios in der Hauptstadt Belgrad. Nach serbischer Darstellung wurden bei den Nato-Luftangriffen im vorigen Jahr fast 500 Menschen getötet. Diese Zahl wurde jedoch von unabhängigen Quellen nie bestätigt.

Beobachter rechneten damit, dass die Entscheidung des Tribunals das ohnehin gespannte Verhältnis zu Jugoslawien weiter verschlechtern werde. Belgrad wirft dem Kriegsverbrechertribunal Einseitigkeit vor. Das Tribunal für das ehemalige Jugoslawien wurde 1993 vom UN-Sicherheitsrat gegründet. Im vorigen Jahr wurde auch der jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic wegen Kriegsverbrechen angeklagt, die jugoslawische Truppen auf seinen Befehl hin an der albanischen Bevölkerungsmehrheit des Kosovo begangen haben sollen.

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