Neue Zürcher Zeitung (CH), 13. Juni 2000

Akrobat der Regionalpolitik mit eisernem Willen

Hafez al-Asad - «Vater aller Syrer» für 30 Jahre

Hafez al-Asad hat mit eiserner Hand das arme und instabile Syrien zu einer nicht zu übergehenden Regionalmacht aufgebaut. Er wurde von den Israeli als Feind gefürchtet, vermochte ihnen aber den besetzten Golan nicht wieder abzuringen. Dafür brachte er Libanon ganz ins syrische Kielwasser.

vk. Limassol, 12. Juni

Der Fliegergeneral Hafez al-Asad hat als Präsident Syriens allen Nahostpolitikern Respekt abgenötigt. Seine ungeheure Konsequenz, sein unbeugsamer Willen zum Widerstand, sein untrügliches Augenmass fürs politisch Machbare und Unausweichliche verliehen ihm grosse Autorität. Er bestach durch seinen Einfallsreichtum und das Geschick im Ausspielen aller Kräfte gegeneinander. In seinen letzten Lebensjahren versteifte er sich jedoch zusehends auf eine Verhandlungsstrategie des Alles-oder-gar-nichts, womit er die Chance eines passablen Golan-Handels mit Ministerpräsident Barak verspielte. So hinterlässt er eine Schlüsselmacht im regionalen Spiel, die zwar Libanon total dominiert, aber im Innern nicht auf demokratisch legitimierte und in der sunnitischen Mehrheit verankerte Institutionen abgestützt ist und auch einer Wirtschaft mit angemessener Leistungsfähigkeit ermangelt. Da nun Asads eiserne Hand fehlt, die über eine ganze Generation alles zusammenhielt, ist die Zukunft Syriens, wahrscheinlich zunächst unter Asads Sohn Bachar, von vielen Ungewissheiten überschattet.

Sozialistisch und zugleich konservativ Die Beinamen «Genosse, Kämpfer, Chef und Präsident» und wie Asad sonst noch besungen wurde, beschrieben seine ausserordentliche Stellung: Er beherrschte seine Weggefährten und Verbündeten im Regime durch sein überlegenes Urteil, und er setzte unbedingten Gehorsam nötigenfalls auch mit skrupelloser Gewalt durch. Er opferte sein ganzes Leben dem, was er als die höheren nationalen Interessen Syriens und der Araber in der Region erachtete, und er forderte von allen anderen rücksichtslos die gleichen Opfer. Dabei war er 1946 bei seinem Beitritt zur Baath-Partei nicht mehr als ein junger Student, geboren 1930 in dem armen Alawitendorf Kurdaha, der freilich durch ein starkes Gespür für koloniale und soziale Ungerechtigkeiten auffiel. Der Baath-Slogan «Arabische Einheit, Freiheit und Sozialismus» sprach ihn an. Daraus erklärt sich seine eigenartige politische Mischung von sozialer und nationalistischer Militanz mit überaus konservativem, haushälterischem Planen. Seinen Genossen aus der studentischen Aktivistenzeit und von der Militärakademie in Homs, wie Abdelhalim Khaddam und Mustafa Tlass, blieb er bis zum letzten Tag loyal verbunden, ebenso wie sie ihm. An der Militärfliegerschule von Aleppo brachte er es zum Kampfpiloten und Akrobatikchampion. Sein militärisch-politisches Denken rundete sich ab bei der Fortbildung in Ägypten, in den Tagen der Union mit Syrien unter Nasser, sowie in der Sowjetunion.

Anfang 1960 gründeten Asad und seine Freunde das geheime fünfköpfige Militärkomitee, das 1963 den baathistischen März-Coup betrieb. In der Baath-Partei hielt Asad zur radikalen militärischen Faktion, welche die Konfrontation mit Israel als Hauptaufgabe ansah. Den zivilen Flügel unter Salah Jedid, der vor allem eine revolutionäre Veränderung der syrischen Gesellschaft wollte, verachtete Asad als gefährlichen ideologischer Spinner; im November 1970 bootete er Jedid und seine Ideologen endgültig aus und steckte ihre Führer für Jahrzehnte ins Gefängnis. In ihrer Ära hatte er 1967 als Verteidigungsminister noch die katastrophale Niederlage im Juni- Krieg gegen Israel erlebt. Das unablässige Ringen zur Wiedergewinnung des damals verlorenen Golans bildete seither das zentrale Anliegen Asads, schon bevor er im März 1971 erstmals förmlich zum Präsidenten gewählt wurde.

Begrenzter innenpolitischer Spielraum Zum einen baute Asad zunächst ein stabiles Regime auf, das den jahrelangen Rösselsprüngen von Demokratie zu Militärputsch und Diktatur ein Ende setzte. Er erweiterte die Basis der herrschenden Baath-Partei 1973 zu dem Bündnis der Nationalen Fortschrittsfront mit sechs Linksparteien. Diese Parteien dienten dem Baath als Sondierungs- und Vernehmlassungsapparat für neue Beschlüsse und zugleich für deren Durchsetzung. Damit war der Rahmen politischer Aktivität ein für alle Mal abgesteckt, und wer sich nicht daran hielt, seien es abtrünnige Kommunisten oder islamische Aktivisten, der wurde erbarmungslos verfolgt und eingekerkert. Zum Schutz der Macht baute Asad ein Netz von Geheimdiensten der Armee, der Polizei und der Baath- Partei aus, die unter dem Kommando von alten Vertrauten des Präsidenten oder Angehörigen seiner Alawitenminderheit nur ihr eigenes Gesetz befolgten. Juristische Notbremse war über all die Jahre das Ausnahmerecht, welches jederzeit standrechtliche Justiz und militärische Disziplin an die Stelle legaler Prozeduren setzen konnte.

Die Zerreissprobe bestand das Regime während des grossen Aufstandes der Muslimbruderschaft in Hama von 1982, bei dem die Verteidigungsbrigaden, eine Elitetruppe des Militärs, die abtrünnige Stadt wie in einem Eroberungskrieg wieder einnahmen und über zehntausend Bewohner ermordeten. Asads Bruder Rifaat, der Kommandant dieser Brigaden, bekam die Verantwortung für das Blutvergiessen im Dienste der anderen aufgebürdet. Dafür verlangte er 1983, anlässlich einer gefährlichen Herzkrankheit des Präsidenten, seinen Lohn mittels eines schleichenden Putsches. Doch Asad genas, und bald darauf schickte er seinen Bruder ins Exil; noch im Oktober 1999 verhinderte er in Latakia blutig ein versuchtes Comeback.

Hafez al-Asad bestimmte mit seiner Mischung aus Sturheit und Besonnenheit völlig Syriens Verhältnis zu Israel. Dabei setzte er auch unpopuläre Entscheide durch. Während des schwarzen Septembers 1970 und der blutigen Unterdrückung der Palästinenser in Jordanien zog er ein syrisches Panzerdetachement für den Entsatz der PLO zurück, weil er eine angedrohte Intervention der Israeli unbedingt umgehen wollte. Im Oktober 1973 plante er zusammen mit Ägypten den Zangenangriff auf Israel, der zunächst im Golan und im Sinai grosse arabische Geländegewinne brachte. Asad fühlte sich freilich von Präsident Sadat verraten, der mit Blick auf diplomatische Vorteile plötzlich nicht mehr vorrückte, was die Wende, einen israelischen Vorstoss weit über den Suezkanal und einen neuen vernichtenden Golanfeldzug zur Folge hatte. Entsprechend blieb Asad abseits, als Sadat 1977 den Friedensprozess mit Israel eingeleitet hatte, und er rief die arabische Widerstandsfront mit ins Leben. Seither verschlechterte sich seine Position im Nahostkonflikt zusehends: Ohne Ägypten war jeder Krieg aussichtslos; 1990 zerfiel Syriens strategischer Verbündeter, die Sowjetunion, während Israel und Amerika obenaus schwangen; im gleichen Jahr trieb Saddam Hussein durch den Kuwait-Feldzug den Irak, Syriens «strategische Tiefe», ins weltpolitische Abseits. Und 1993 und 1994 scherten auch noch die PLO und Jordanien auf separate Geleise der Friedensverhandlungen aus.

Was an Vorteilen blieb, war die Abhängigkeit Libanons; Asad hatte schon 1976 während des Bürgerkriegs gegen den Widerstand der Baath- Führung den Einmarsch im Nachbarland durchgesetzt. Über all die Jahre hielt auch die strategische Allianz mit der Islamischen Republik Iran, die Asad 1980 entgegen alle arabische Solidarität mit dem Irak beim Beginn des ersten Golfkrieges geschmiedet hatte. Das Zweistromland mit seiner rivalisierenden Baath-Führung, und später im Wechselbad von Saddam Husseins Cäsarenwahn, hätte Syrien nie derart zu unterstützen vermocht. Ab 1990 wusste Asad sich die Amerikaner zu verpflichten, indem er zur westlichen Golf-Allianz hielt und symbolisch am Befreiungsfeldzug in Kuwait teilnahm. Jene zweite Abkehr vom Irak rechtfertigte der Syrer als Erfordernis der neuen «strategischen Option für den Nahostfrieden» - eine immerhin eindrückliche Umformung der Einsicht eigener militärischer Unterlegenheit.

Als Vorkämpfer des «gerechten und umfassenden Friedens» lernten Asad vier amerikanische Präsidenten kennen, von Nixon 1974 über Carter und Bush bis zu Clinton, zuletzt im März dieses Jahres. Ihre Staatssekretäre von Kissinger bis zu Madeleine Albright erlebten mit ihm politische Albträume, wenn er ihnen in stundenlangen, aber messerscharfen historischen Darlegungen auseinandersetzte, dass sie im Grunde meist als Anwälte israelischer Interessen Syrien und die Araber zu übertölpeln suchten. Asad hielt den Amerikanern immer vor, dass es 1991 seine rasche Zustimmung zu der Formel «Land im Tausch gegen Frieden» war, welche die Lancierung des Madrider Verhandlungsprozesses gegen den spürbaren Widerstand der Israeli überhaupt ermöglicht hatte. Darauf baute er seinen Status als unabdingbaren Partner im Friedensprozess. Eine Anerkennung als Stabilitätsgarant hatte er bereits 1990 mit der Beendung des libanesischen Bürgerkriegs errungen. Seit jenen Tagen hatte Washington die Augen vor der syrischen Militärpräsenz im Zedernland zugedrückt. Damit war auch Asads Spiel mit den libanesischen Widerstandskämpfern toleriert, die Israel immer wieder die Notwendigkeit einer Verständigung mit Damaskus vor Augen führten. Erst neuerdings, im Lichte des israelischen Abzugs aus Südlibanon, mahnt Washington auch Syrien zur «völligen Wiederherstellung der Souveränität Libanons».

Wachsende Verknöcherung Ob es der berechtigte Stolz eines grossen Syrers oder der Eigensinn eines alternden Diktators war, der Asad den Golan, den höchsten Preis seines Strebens, vorenthielt, muss die Geschichte entscheiden. Ein Handel mit Barak, der einen Rückzug bis auf einen schmalen Küstenstreifens des Tiberias-Sees gegen einen vollen Frieden versprochen hatte, war im März in Reichweite. Ob Barak ihn auch gegen den Widerstand in den eigenen Reihen hätte einhalten können, bleibt offen. So trifft Hafez al-Asad nun das Verdikt der aktiven Politiker, für die nur der praktische Erfolg zählt: Von den westlichen Staats- und Regierungschefs bemüht sich einzig der französische Präsident Chirac an den Sarg, während aus Washington lediglich die Staatssekretärin anreist.

Jetzt hält man dem Verstorbenen auch vor, dass er aus seiner Abneigung gegen jegliche Veränderung tiefgreifende Reformen der syrischen Wirtschaft mit ihrem völlig dominanten staatlichen Sektor versäumt hat. Asad hat Syrien fast 30 Jahre lang beherrscht, und ist, gemessen an den unerledigten Aufgaben, doch zu früh gestorben. Vielleicht hat ihn auch die stille Einsicht seiner zunehmenden Schwäche angespornt, die Machtübergabe an seinen ältesten Sohn, zunächst Basil, dann, nach dessen Tod, an Bachar, von langer Hand vorzubereiten.