Financial Times Deutschland, 13.6.2000

Schily bereitet Öffentlichkeit auf Einwanderungsgesetz vor

Von Peter Ehrlich, Berlin

Die Bundesregierung bereitet nun doch umfassende Regelungen für die Einwanderung von Ausländern vor. Innenminister Otto Schily (SPD) kündigte als ersten Schritt die Bildung einer Sachverständigenkommission an.

Diese solle ein "neues Regelwerk" für die Zuwanderung entwerfen, das europatauglich sei, unübersichtliche Vorschriften beseitige und einen klaren Rahmen schaffe. Die mit Bundeskanzler Gerhard Schröder abgesprochene Kommission solle ihre Arbeit bis Mitte 2001 abschließen, sagte Schily dem "Spiegel". Der Minister ließ offen, ob das Ergebnis ein Zuwanderungsgesetz oder eine Änderung des Ausländergesetzes sein wird und ob die gesetzlichen Änderungen noch vor der nächsten Bundestagswahl beschlossen werden sollen.

Bisher hatten Bundesregierung und SPD erklärt, ein Einwanderungsgesetz stehe erst nach der nächsten Wahl in 2002 an. Nach der Kampagne von CDU und CSU gegen die Erleichterung von Einbürgerungen im vergangenen Jahr hatte die SPD kritische Reaktionen bei Wählern aus der Arbeiterschaft befürchtet. Die positiven Resonanz der Wirtschaft und großer Teile der Öffentlichkeit auf die Greencard-Initiative Schröders zugunsten ausländischer Computerspezialisten ermunterten die Regierung jetzt aber zu weiter gehenden Aktivitäten. Die Verordnung zur Einreise von zunächst 10.000 IT-Experten soll zum 1. August in Kraft treten. Noch vor der Sommerpause will die Koalition außerdem darüber beraten, wie länger in Deutschland lebenden Asylbewerbern die Arbeitsaufnahme erleichtert werden kann.

Vorteil einer unabhängigen Kommission ist, dass sie die Diskussion unabhängig von politischen Angriffen weiterführen kann. Der Einsatz unabhängiger Experten hatte sich zuletzt bei der Weizsäcker-Kommission bewährt, die sich mit dem Umbau der Bundeswehr befasste.

Schily kritisierte die bisherige Diskussion über ein Einwanderungsgesetz als zu diffus. Die Kommission solle die Konzepte aller Parteien, von Kirchen, Wirtschaft und Gewerkschaften und dem Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen einbeziehen. Die Einwanderung müsse unter Wahrung humanitärer Grundsätze "entsprechend unseren wirtschaftlichen und politischen Interessen" gesteuert werden, sagte der Minister. Ungesteuerte Zuwanderung führe zu gesellschaftlichen Konflikten.

Neben FDP und Grünen fordern auch CDU und CSU seit einiger Zeit eine neue gesetzliche Regelung für die Einwanderung. Unions-Fraktionschef Friedrich Merz sagte, ein solches Gesetz müsse sich an der Interessenlage von Gesellschaft und Staat "und nicht aus der Sicht der Einwanderer heraus" definieren. Merz forderte auch ein neues Asylrecht. Die Union will das individuelle Recht auf Asyl, das politisch Verfolgte geltend machen können, auf eine so genannte institutionelle Garantie beschränken, bei der der Staat festlegt, wer Asyl bekommt.

Schily sagte dagegen, er sehe keine Chance, im Bundestag eine Zweidrittelmehrheit für eine Änderung des Asylartikels im Grundgesetz zu bekommen. Grüne, PDS und große Teile von SPD und FDP lehnen eine Grundgesetzänderung ab. Schily nannte aber eine Beschleunigung der Asylverfahren durch Verkürzung des Rechtswegs möglich. Ein Einwanderungsamt könne auch Asylbewerbern empfehlen, statt eines aussichtslosen Asylantrags einen Einwanderungsantrag zu stellen.

Die Ausländerbeauftragte Marieluise Beck (Grüne) begrüßte die geplante Einrichtung der Kommission. Zur Einwanderung gehöre aber auch eine konsequente Integrationspolitik. Der FDP-Vorsitzende Wolfgang Gerhardt lud die Vorsitzenden aller im Bundestag vertretenen Parteien für den 27. Juni zu einer Konferenz über den Zuzug von Ausländern ein. Die FDP will jährliche Höchstzahlen für Einwanderer festlegen.