Berliner Zeitung, 10.6.2000

"Sanktionen gegen Irak verletzen Menschenrechte"

Ex-Vertreterin der UN verweist auf Völkermord-Konvention

Roland Heine

BERLIN, 9. Juni. Die UN-Sanktionen gegenüber Irak haben in ihren Folgewirkungen zu schweren Menschenrechtsverletzungen geführt und verstoßen gegen die internationale Konvention über die Verhütung von Völkermord. Das erklärte die im März zurückgetretene Vertreterin des Welternährungsprogrammes in Irak, die Deutsche Jutta Burghardt, am Donnerstagabend in Berlin. Die seit 1990 geltenden Wirtschaftssanktionen hätten "das erklärte Ziel des Sturzes der Diktatur in Bagdad nicht erreicht, die Lage des irakischen Volkes aber dramatisch verschlechtert", sagt Burghardt. Zwar gebe es keine offene Hungersnot, doch sei die Gesamtsituation vom Medizinbereich über den Bildungssektor bis hin zur Infrastruktur derart katastrophal, dass "die Menschen vor allem im Süden das Gefühl haben, sie sind allein gelassen zum Verrecken".

Burghardt verwies auf Unicef-Berichte, wonach sich die Sterblichkeitsrate der Kinder unter fünf Jahren in den 90er-Jahren fast verdoppelt habe; 500 000 Kinder, die unter anderen Umständen wohl überlebt hätten, seien tot. Auch mit Blick auf die Abrüstungsforderungen an Irak sei unklar, was die Sanktionen noch sollten. Atomar habe Bagdad "ganz klar abgerüstet". Nur bei B-Waffen würden "gelegentlich noch Zweifel" laut, doch sei dieser Sektor auch nach US-Einschätzung ohnehin schwer zu kontrollieren.

Ungeachtet aller Kritik hat der UN-Sicherheitsrat am Donnerstag seine Irak-Politik bestätigt und das UN-Programm "Öl für Lebensmittel" um sechs Monate verlängert. Vor allem Russland und China hatten erneut auf Lockerung der Wirtschaftsanktionen gedrängt, sich aber gegen die USA und Großbritannien nicht durchsetzen können. "Das UN-Programm soll die Folgen für die Bevölkerung abfangen, kann dies aber aus vielen Gründen nicht wirklich", erklärte Jutta Burghardt. So sei die Monatsration an Lebensmitteln meist innerhalb von drei Wochen aufgebraucht, da sich viele Menschen Kleidung oder andere Verbrauchsgüter nur beschaffen könnten, indem sie diese für Lebensmittel eintauschten.

Nachdrücklich verwies die langjährige UN-Mitarbeiterin darauf, dass mit den Sanktionen Völkerrecht gebrochen werde. Die 1948 in der Menschenrechtsdeklaration fixierten Rechte wie das Recht auf Leben, soziale Sicherheit oder Bildung seien für das irakische Volk außer Kraft gesetzt, "bloß weil es das Regime Saddams gibt". Ignoriert würden auch Bestimmungen des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966. Dort heißt es in Artikel 1: "In keinem Fall darf ein Volk seiner eigenen Existenzmittel beraubt werden." Schließlich, so der schwerwiegendste Vorwurf, werde auch gegen die Konvention zur Verhütung von Völkermord von 1948 verstoßen. Diese verbietet in Artikel 2, einer nationalen, ethnischen, rassischen oder religiösen Gruppe vorsätzlich Lebensbedingungen aufzuerlegen, "die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen".

Darstellungen, wonach das irakische Regime das Leiden der Bevölkerung absichtlich steigere, wies Burghardt zurück. "Die Regierung ist daran interessiert, dass die Lebensmittelversorgung klappt, denn wenn es zu Hungeraufständen käme, wäre auch das Regime gefährdet." Zudem sei sie überzeugt, dass Bagdad mit der Uno kooperieren würde, wenn man dafür die Sanktionen umgehend beendete. Auf Betreiben der USA, so Burghardt, stünde derzeit jedoch bestenfalls eine nicht näher bezeichnete "Suspendierung" in Aussicht.