Neue Zürcher Zeitung (CH), 09.06.2000

Misstöne zwischen Teheran und Ankara

Katalog türkischer Beschuldigungen gegenüber Iran

Der türkische Präsident Sezer hat eine offizielle Einladung nach Iran abgelehnt und damit zu einer Verschärfung der schwelenden Krise zwischen den beiden Nachbarstaaten beigetragen. Seit Mitte Mai beschuldigt die Türkei das iranische Regime, an der Ermordung von sechs prominenten türkischen Intellektuellen beteiligt gewesen zu sein.

it. Istanbul, 8. Juni

Der türkische Präsident, Ahmet Necdet Sezer, hat am Mittwoch eine Einladung seines iranischen Amtskollegen, an der jährlichen Konferenz der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (ECO) teilzunehmen, abgelehnt. Das ausgelastete Arbeitsprogramm erlaube dem Präsidenten einen Besuch in Teheran nicht, hiess es im türkischen Aussenministerium. Die Ablehnung brüskierte Teheran und löste in den politischen Kreisen Ankaras Verlegenheit aus. Die ECO wurde auf Initiative der Türkei, Pakistans und Irans gegründet und hat nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion mit der Mitgliedschaft der jungen, muslimischen Republiken Zentralasiens an Bedeutung gewonnen. Dieses Forum haben im letzten Jahrzehnt auch iranische und türkische Präsidenten dazu benützt, ihren Kampf um Einfluss und Macht in Zentralasien auszutragen. Türkische Kolumnisten stellten nun die Frage, ob die präsidiale Ablehnung sich nicht gegen türkische Interessen richte. Die Ablehnung zu diesem Zeitpunkt drohe die gärende Krise zwischen Teheran und Ankara noch zu verschärfen.

Geheimdienstliche Tätigkeiten
Die Beziehungen zwischen den beiden Nachbarländern sind seit langem von Spannungen gezeichnet, obwohl die iranisch-türkische Grenze bereits im Jahr 1639 festgelegt worden ist und seither Bestand hat. Das iranisch-türkische Verhältnis hat sich nach der Machtübernahme Khomeinys 1979 verschärft, aus Ankaras Sicht, weil Teheran seine islamische Revolution in die Türkei exportieren wollte. Teheran hingegen beschuldigt Ankara, iranische Oppositionelle zu unterstützen. Tatsache ist, dass nach 1979 über eine Million Iraner in die Türkei geflohen sind. Davon hat sich die Hälfte in der Türkei niedergelassen. Die mehrheitlich regimekritischen Flüchtlinge haben jene Organisationen unterstützt, die einen politischen Umsturz in Teheran anstreben. Unumstritten ist ebenfalls, dass Teheran in den letzten zwanzig Jahren Dutzende von Agenten in die Türkei schleuste. Zwischen Iran und der Türkei besteht keine Visumspflicht. Laut Presseangaben sollen seit 1980 über 200 iranische Oppositionelle in der Türkei Attentaten zum Opfer gefallen sein.

Seit Mitte Mai hat dieser Konflikt aber eine neue Dimension erreicht. Teheran wird beschuldigt, in Verbindung mit der Ermordung von sechs prominenten türkischen Intellektuellen zu stehen. Der Journalist Ugur Mumcu, der den wachsenden Einfluss der islamistischen Bewegung in der Türkei angeprangert hatte, kam 1993 bei einem Bombenattentat ums Leben. Dann folgte die Ermordung von zwei Universitätsdozenten und drei weiteren Journalisten. Sie alle hatten sich im Kampf gegen den politischen Islam öffentlich exponiert. Vor zwei Wochen gelang es angeblich der türkischen Polizei, die Täter zu fassen. Sie sollen ausgesagt haben, dass die Morde in Teheran geplant worden waren. Das iranische Regime benehme sich feindlich gegenüber der Türkei und unterstütze die kurdische Arbeiterpartei sowie die Fanatiker des islamistischen Hizbullah, erklärte der türkische Ministerpräsident Ecevit. Der Innenminister Tantan plädierte für die Einführung der Visumspflicht für iranische Bürger und für weitere, nicht näher definierte Sanktionen.

Ein wichtiger Handelspartner
Das Aussenministerium mahnte aber zur Vorsicht. Der bilaterale Handel mit Iran beläuft sich jährlich auf eine Milliarde Dollar. Zudem verläuft die für die Türkei wichtige Transitroute in Richtung Zentralasien durch Iran. Rund 12 500 türkische Kraftwagen benützen jährlich diesen Weg. Sanktionen gegen Iran würden die Türkei sehr teuer zu stehen kommen, sagte beim letzten Treffen des nationalen Sicherheitsrates der türkische Aussenminister Cem. Der Konflikt mit Iran spaltet die türkische Staatsführung. Neben dem Präsidenten soll auch ein Grossteil der Generäle für eine härtere Gangart gegenüber Iran auftreten. Um die Spannung zu entschärfen, hat das türkische Aussenministerium für das ECO-Treffen den Staatsminister Kececiler nach Teheran entsandt. Die Diplomaten gaben ihn aber ein Dossier mit auf den Weg, in dem Beweise für die enge Zusammenarbeit zwischen Teheran und der kurdischen Arbeiterpartei sowie dem türkischen Hizbullah enthalten sein sollen.