Neue Zürcher Zeitung (CH), 08.06.2000 Nr.132 5

Amnesty International kritisiert die Nato

London, 7. Juni. (Reuters) Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat der Nato Menschenrechtsverletzungen während der Luftangriffe auf Jugoslawien im vergangenen Jahr vorgeworfen. Die Nato habe bei der Bombardierung mehrerer Ziele bewusst in Kauf genommen, dass dabei Zivilisten getötet würden, teilte Amnesty am Mittwoch in London mit. Deshalb müssten die Angriffe auf einige Brücken und auf das Gelände des staatlichen Rundfunks rechtliche Folgen haben. Die Nato-Staaten müssten diejenigen vor Gericht bringen, die für die Verstösse gegen das Menschenrecht verantwortlich seien. Amnesty wolle die Luftangriffe auf Jugoslawien von Ende März bis Mitte Juni vergangenen Jahres aber nicht grundsätzlich in Frage stellen.

Robertson weist Vorwürfe zurück
(Mitg.) In einem in Brüssel veröffentlichten und den Medien zugesandten Communiqué hat Nato-Generalsekretär Robertson die Anschuldigung von Amnesty am Mittwochnachmittag als grundlos zurückgewiesen. Die Nato habe während des ganzen Konfliktes internationales Recht beachtet, einschliesslich des Kriegsvölkerrechts, und jede Anstrengung unternommen, um das Leben von Zivilisten zu schonen. Während der Operation sei es, wie es die Nato immer zugegeben habe, zu Fehlern gekommen. Dabei seien zivile Personen zu Schaden gekommen. Diese Vorkommnisse seien bedauerlich; sie seien aber angesichts der von serbischer Seite begangenen Greueltaten zu relativieren. Auch habe das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag letzte Woche beschlossen, von einer Untersuchung gegen die Nato abzusehen.